Ernüchterung nach Obama-Rede: Kein Applaus in Afghanistan
Afghanistans Politiker reagieren wenig begeistert auf die Ankündigung von US-Präsident Obama, die US-Truppen zu verstärken. Viele halten seine Pläne für unrealistisch.
BERLIN taz | Mit seiner neuen Afghanistan-Strategie hat US-Präsident Barack Obama am Hindukusch keine Begeisterung ausgelöst. Auf seine Rede reagierte Außenamtssprecher Mohammed Sahir Fakiri nur mit der dürren Mitteilung: "Das Außenministerium von Afghanistan begrüßt die neue Strategie." Dabei hatte Obama noch kurz zuvor eine einstündige Videokonferenz mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai gehabt. Doch der gab danach so wenig eine Erklärung ab wie nach Obamas Rede.
"Mehr Truppen bedeuten mehr Ziele für die Taliban, und da diese Truppen zum Kämpfen da sind, wird das sicher mehr zivile Opfer mit sich bringen", sagte Ahmad Schah Ahmadsai, der 1995/96 in der Regierung der Mudschaheddin afghanischer Premierminister war, zur Agentur Reuters. "Die zivilen Opfer werden das Image der USA massiv beschädigen und weitere Empörung unter den Afghanen auslösen." Kritiker der Truppenentsendung verweisen darauf, dass schon die Entsendung von 21.000 weiteren US-Soldaten im Frühsommer das Land nicht sicherer gemacht hat und die Zahl ziviler Opfer gestiegen ist.
Für die Zivilbevölkerung erwartet auch die Abgeordnete Schukrija Baraksai jetzt keine Vorteile. "Es war eine schöne Rede für Amerika. Aber im Hinblick auf die Strategie für Afghanistan hat sie nichts wirklich Neues enthalten, was enttäuschend war." Obama sei weit entfernt von den Realitäten in Afghanistan. "Seine Strategie enthielt nur Lippenbekenntnisse, aber richtete sich nicht auf die Zivilbevölkerung, den Aufbau der Nation, Demokratie und Menschenrechte." Sie hatte schon vor Obamas Rede gefordert, dass die USA statt 30.000 Soldaten lieber 30.000 Ingenieure und Wissenschaftler schicken sollten.
Obamas Truppenverstärkung werfe viele Fragen auf, sagte Mahmud Saikal, ein früherer stellvertretender Außenminister. Es dauere doch Jahre und nicht Monate, in Afghanistan eine funktionierende Verwaltung aufzubauen. "Was passiert, wenn die Situation im Juli 2011 schlechter ist als heute? Werden die USA dann immer noch abziehen wollen?" Ähnlich reagierte auch der afghanische Präsidentenberater Segbatullah Sanjar: "Wir haben das Afghanistan-Problem in acht Jahren nicht lösen können, aber jetzt wollen es die USA in 18 Monaten lösen? Ich sehe nicht, wie das gehen soll." Er hält die Nennung eines Termins für den Beginn des Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan auch deshalb für falsch, weil dies den Taliban signalisiere, dass sie nur so lange aushalten müssten.
Die Taliban selbst kündigten an, dass mehr US-Truppen zu mehr Widerstand führen würden. Obamas Strategie werde nicht funktionieren, und er werde "Zeuge von vielen Särgen werden, die von Afghanistan in die USA gebracht werden", sagte ein Talibansprecher der Nachrichtenagentur AFP. Er prophezeite einen beschämenden Abzug der internationalen Truppen.
SVEN HANSEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül