■ Ernesto Cardenal: 288. Gesang
Und dort sang Victor Jara.
Ohne Gitarre, ohne Hände sang er in jenem
Stadion.
Als der Offizier zu ihm sagte: „Sing, du
Hundesohn“, sang er.
Sang für alle, die im Stadion von Chile waren,
und für Gott.
Er redete Gott voller Achtung an, erzählt ein
Kommunist, hatte
er doch sechs Tage lang so hart gearbeitet für
eine Welt so
voll von Schrecken.
„Ein Toter, ein Geprügelter, wie ich es nie
geglaubt habe“,
schrie er. Und stumm in diesem Stadion das
höchste Wesen
vollständig machtlos gegenüber Pinochet.
Und der Gesang blieb dort, ging nicht mit
dem Wind,
unbewegt wie der Beton der Ränge,
blieb dort an jeder Treppenstufe kleben.
Und ist noch dort, auch wenn man Fußball
spielt, im Chile-Stadion.
Im Leichenschauhaus waren seine Augen
immer noch weit offen
erzählt einer, der ihn sah,
als blickte er dem Tod direkt ins Antlitz
oder nein: Gott selbst.
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