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Ernährung in der Schule I"Verpflegung oft lästige Pflicht"

Zu Ganztagsschulen gehört kostenfreie Versorgung, sagt der Soziologe Michael Jäger. Ein Gespräch über den Wert von Essen zum Schulstart am Montag.

Selbstgekocht wird in den Mensen überlichweise nicht. Bild: AP
Interview von Alke Wierth

taz: Zerkochte Kartoffeln, saure Eiersoße oder Milchreis als Hauptmahlzeit – warum ist Schulessen oft so mies?

Michael Jäger: Wir alle essen täglich. Es gibt also 80 Millionen ExpertInnen für Essen in Deutschland, die sich berufen fühlen, bei diesem Thema mitzureden. Im Bereich Schule sorgen sich Eltern zudem, ob ihre Kinder ein Mittagessen in vernünftiger Qualität bekommen. Schließlich sind die Kinder sechs, acht, teilweise zehn Stunden in der Schule. Da brauchen sie ein ausgewogenes Essensangebot.

Eine Seltenheit!

Dabei gibt es in Berlin gute Voraussetzungen. Viele Schulen sind Ganztagsschulen, Schulessen wird subventioniert, die Schulträger nehmen den Schulen die Suche nach Essensanbietern ab und orientieren sich dabei an Qualitätsstandards. Es fehlt aber der prüfende Blick nach Vertragsabschluss, ob die vereinbarte Qualität auch auf den Tellern der Kinder landet.

Michael Jäger

44, ist Soziologe und Projektleiter der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Berlin. Die Stelle berät im Auftrag der Senatsbildungsverwaltung bei der Gestaltung schulischen Verpflegungsangebots.

Dabei ist Ernährung ein wichtiges gesellschaftliches Thema – von Übergewicht bis hin zu Bulimie und Magersucht.

Ja, und in den Schulen und Kitas hätten wir die perfekte Gelegenheit, den Kindern vorbildhaft zu zeigen, wie gute Ernährung sein sollte. Aber diese Gelegenheit nutzen wir noch zu wenig.

Warum?

Schulessen hat in Deutschland keine lange Tradition – außer in den neuen Bundesländern, wo es aber oft auch mangelhaft war. Erst seit der Einführung von Ganztagsschulen diskutieren wir über Schulverpflegung. Sie wird von den Schulen noch zu häufig als lästige Pflichtaufgabe, nicht als wichtiger Teil des Ganztagsschulalltags wahrgenommen. Dem Thema wird nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet. Unternehmen strengen sich in ihren Kantinen mittlerweile sehr an, für ihre Beschäftigten ein gutes Angebot und eine angenehm motivierende Atmosphäre zu schaffen, damit diese gut weiterarbeiten können. Bei Schulen dagegen wird bei der Planung an alles gedacht, an die Gestaltung der Mensa aber zuletzt. So entstehen Räumlichkeiten, die den Bedarf der Zielgruppe gar nicht treffen.

Es geht gar nicht um Qualität?

Natürlich ist es oft die Qualität des Essens, die nicht zufriedenstellend ist. Aber die Beurteilung des Essens ist durch viel mehr Faktoren geprägt als durch die reine geschmackliche Qualität. Da spielen die Räumlichkeiten, spielt die Ablauforganisation eine Rolle – welche Wertigkeit das Essen in einer Schule hat, wie es in den Tagesablauf eingebunden wird. Wir erleben, dass der gleiche Caterer an einer Schule positiv, an einer anderen schlecht bewertet wird. Das liegt an den vielen verschiedenen Faktoren, die den Eindruck beeinflussen.

In Friedrichshain-Kreuzberg darf ein Essen 2,10 Euro kosten. Kriegt man dafür überhaupt ein gutes Mittagessen hin?

Experten bezweifeln das. Und die Caterer klagen schon lange über die Preise. Einige haben deshalb bei der Ausschreibung für dieses Schuljahr keine Angebote abgegeben. Das hat hoffentlich so etwas wie eine Katalysatorfunktion. Wir hoffen, endlich eine Diskussion mit allen Beteiligten darüber beginnen zu können, wie Schulessen in Berlin aussehen soll.

Wie viel muss denn ein gutes Schulessen kosten – und wer sollte es eigentlich bezahlen?

Grundsätzlich hängen die Preise von den Bedingungen ab, unter denen produziert und ausgegeben wird. In Berlin dominiert leider das Warmverpflegungssystem, wobei Essen in Großküchen hergestellt und in Warmhaltebehältern angeliefert wird.

Das finden Sie nicht gut?

Berlin hat sich aus finanziellen Gründen dafür entschieden, das überwiegend so zu organisieren. Ich fände da mehr Flexibilität besser, die die Umstände an den einzelnen Schulen berücksichtigt. Beim Umbau von Schulen im Rahmen der Schulreform wurden vielerorts nur Ausgabeküchen geplant. Da sind andere Verfahren kaum möglich. Bei der Planung für die neuen Sekundarschulen, alles Ganztagsschulen übrigens, wurde davon ausgegangen, dass höchstens 30 Prozent der Schüler am Mittagessen teilnehmen. Wenn man schon so plant, zeigt das, welche Bedeutung dem Thema Schulessen beigemessen wird.

Zurück zum Preis.

Auf den haben alle diese Faktoren Einfluss. Ob er 500 oder 50 Essen verkauft, macht für den Caterer einen Unterschied. Und zur Frage, wer bezahlt: Da kann man viele Möglichkeiten diskutieren bis hin zu der, ob Schulessen nicht kostenfrei sein müsste für Kinder, die Ganztagsschulen besuchen. Man kann sich fragen, ob der Aufwand, der derzeit betrieben werden muss, um das Geld fürs Schulessen einzuziehen – und zwar sowohl von den Caterern wie von der Verwaltung –, nicht selbst so hohe Kosten verursacht, dass es günstiger wäre, das Essen einfach für alle für einen Euro auszugeben oder im Ganztagsbetrieb umsonst zu stellen. Man sollte auch mal grundsätzlich darüber nachdenken, ob es überhaupt Sinn hat, Schulessen zu privatisieren, dass Eltern also privatrechtliche Verträge mit externen Firmen schließen. Aus unserer Sicht ist das eine Sache, die zwischen den Eltern und dem Schulträger geklärt werden müsste, weil es Teil der Ganztagsbetreuung ist.

Dann müsste mit Schulessen auch kein Gewinn mehr gemacht werden.

Wenn man ernsthaft Ganztagsschulen will, muss das ein integriertes Konzept sein, zu dem Verpflegung dazugehört. Alle Schulen, in denen das Essen als gut bewertet wird, sind Schulen, die die Verpflegung als Teil des schulischen Lebens betrachten und aktiv mitgestalten. Wenn das Verpflegungsangebot aber von vielen Schulleitungen als Anhängsel betrachtet wird, Eltern das mit privaten Caterern klären müssen, mit denen die Schule eigentlich gar nichts zu tun hat, kann das nicht funktionieren.

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