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Ermittlungen zu Gaza-FlottilleDelikte nicht schwerwiegend genug

Israel hat beim Sturm der „Mavi Marmara“ 2010 keine Kriegsverbrechen begangen. Der Internationale Gerichtshof konnte keine Beweise dafür vorlegen.

Mavi Marmara, das Schiff, das die Flottille nach Israel anführte Bild: ap

DEN HAAG ap | Beim Sturm der „Mavi Marmara“ im Mai 2010 durch israelische Sicherheitskräfte waren acht Türken und ein türkisch-amerikanischer Mann ums Leben gekommen; mehrere propalästinensische Aktivisten erlitten Verletzungen.

Doch mögliche Delikte die in den Bereich der Kriegsverbrechen fallen könnten seien nicht schwer genug, um strafrechtlich verfolgt zu werden, teilte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Fatou Bensouda, am Donnerstag in Den Haag mit. Bensouda sagte in einer Erklärung, sie habe Grund zur Annahme, dass Kriegsverbrechen nach dem Rechtsverständnis des ICC begangen wurden.

Allerdings wäre jeglicher Fall, der mit dem Entern des Schiffs in Verbindung stehe, „nicht von ausreichender Schwere, um eine künftige Aktion des ICC zu rechtfertigen“.

Zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechen sollen laut dem Ermittlungsbericht absichtliches Töten und Verletzen von Menschen gehören. Die ICC-Ermittler sammelten dabei nicht selbst Beweise, sondern stützten sich auf „verfügbare Informationen“.

Bensouda hatte 2013 auf Initiative der Komoren, einem kleinen afrikanischen Staat und ICC-Mitglied, vorläufige Ermittlungen eingleitet. Das geenterte Schiff war unter der Flagge der Komoren gefahren. Der türkische Anwalt der Komoren sagte, er werde den Fall nicht aufgeben. „Dies ist ein moralischer Kampf, den wir auf eigene Faust weiter verfolgen werden“, sagte Ramazan Ariturk. "Es ist ein Kampf im Namen der Humanität."

Weder Israel noch die Türkei gehören dem ICC an. Das Gericht kann Urteile nur für Mitgliedsstaaten verkünden.

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16 Kommentare

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  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    Jnaja, ein informativer Artikel sieht anders aus. Wenn man wissen will, worüber im Artikel gesprochen werden soll (aber nicht wird), sollte man zur Kenntnis nehmen, dass ...

     

    a) ... die Mavi Marmara auf internationalen Gewässern gekapert wurde

     

    b) ... die Mavi Marmara mit Hilfsgütern in Richtung Gaza unterwegs war, dass zu jener Zeit ganz besonders schlimm von Israel ausgehungert wurde und am Rand einer humanitären Katastrophe war.

    http://www.amnesty.org/en/for-media/press-releases/israeloccupied-palestinian-territories-israeli-blockade-causes-worsening

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/beschluss-des-kabinetts-israel-lockert-gaza-blockade-a-701187.html

     

    c) ... die von der IDF ermordeten Aktivisten der Mavi Marmara aus nächster Nähe mit Kopf/Rückenschüssen hingerichtet worden sind, obwohl keinem IDF Soldaten nennenswerter Schaden zugefügt wurde(!):

    http://www.theguardian.com/world/2010/jun/04/gaza-flotilla-activists-autopsy-results

     

    Die Kriegsverbrechen stehen ohne Frage, auch wenn diese im Artikel als Zweifelhaft dargestellt werden. Nur, da die Tü+rkei nicht anklagen darf (Nichttmitglied Rom-Statut), müsste ein "humanitäres Interesse" bestehen, um eine Anklage zu erstellen.

     

    Das kein solches Interesse besteht, wenn Hilfslieferungen in ein Notstandsgebiet mit brutalen Morden verhindert werden sollen, ist aus humanitärer Sicht fragwürdig, wie so vieles. Auch wieso im Artikel soplche Fakten unerwähnt bleiben und wieso mit Fakten aufklärende Kommentare erst erscheinen, wenn der Artikel nicht mehr aktuell ist (Do17:22).

  • Die Frage ist, ob die "Delikte" überhaupt als "Kriegsverbrechen" zu bezeichnen wären. Wenn ich mich nicht täusche, hat die israelische Armee keinen Krieg gegen die Türkei oder die Komoren geführt, sondern ein Schiff daran gehindert, die Seeblockade zu durchbrechen. Wie allgemein bekannt ist, war die Besatzung auch nicht bereit, die angeblich an Bord befindlichen "humanitären Güter" auf dem Landweg nach Gaza bringen zu lassen, so dass für die Israelis auch der Eindruck entstehen musste, dass sich an Bord des Schiffes Waffen für die Hamas befanden. Und dass die Israelis eine Bewaffnung der Hamas unterbinden, kann man ja wohl verstehen. Und es ging auch ausreichend durch die Presse, dass die Aktion sehr fragwürdig war und es den "Aktivisten" vor allem darum ging, Israel als Unrechtstaat vorzuführen. Auf der Passagierliste standen Autoren radikal-islamistischer Zeitungen und Funktionäre der Partei BBP. Die BBP ist für Experten eine Partei mit antisemitischen und militanten Tendenzen, die der NPD nahe steht. Und mit solchen Anisemiten haben die linken Abgenordneten Annette Groth und Norman Paech gemeinsame Sache gemacht.

    • @DragonMagico:

      Ach so, ein Antisemitismusverdacht ist also eine ausreichende Begründung in internationalen Gewässern Schiffe zu entern und Menschen zu ermorden. Das wusste ich bisher noch gar nicht. Nun habe ich wieder etwas gelernt.

       

      Aber warum hat man die schlimmen linken Abgeordneten leben lassen ? Frau Merkel hätte bestimmt nichts gesagt dazu.

    • @DragonMagico:

      es braucht keinen erklärten krieg gegen die Türkei oder die Komoren, dass ein konflikt bewaffnet ausgetragen wird reicht völlig aus. und immer dann, wenn geschützte zivilpersonen in diesem konflikt tangiert sind, können von den konfliktparteien auch war-crimes oder crimes against humanity begangen werden. so einfach ist das.

       

      im übrigen: hätte Israel die flotte, die humanitäre hilfsgüter - und nichts anderes! - geladen hatte, nach 'Asa fahren lassen, hätte es sich als rechtsstaat erwiesen.

      so aber bleibt, dass ohne not 10 menschen getötet, 50 verletzt und über 700 menschen erniedrigend behandelt und ihrer freiheit beraubt wurden.

      • @christine rölke-sommer:

        "dass ein konflikt bewaffnet ausgetragen wird reicht völlig aus. und immer dann, wenn geschützte zivilpersonen in diesem konflikt tangiert sind, können von den konfliktparteien auch war-crimes oder crimes against humanity begangen werden. so einfach ist das."

         

        Na, so einfach gestrickt, wie Sie das sehen, ist es nicht. Es hätte keine Toten und Verletzte gegeben, wenn die "Aktivisten" diese völlig unnötige Aktion nicht provoziert hätten und das Angebot der Israelis, die "Hilfsgüter" in Ashdod ausladen zu lassen und auf dem Landweg nach Gaza zu bringen, akzeptiert hätten. Aber das wollten sie nicht. Den Aktivisten ging es nicht um humanitäre Hilfe, sondern um Provokation und um Eskalation. Waren Sie auf dem Schiff, dass Sie beurteilen können, dass "700 Menschen erniedrigende behandelt und ihrer Freiheit beraubt wurden". Ist ja klar, dass danach das Gejammer der "Aktivisten" groß war. Erst Scheiße bauen und dann sich beklagen, dass man zur Rechenschaft gezogen wird. Ungeachtet dessen ist es eine Tatsache, dass sich an Bord des Schiffes jede Menge reaktionäre Antisemiten befanden, die bereits beim Ablegen der Mavi Marmara judenfeindliche Lieder gröhlten. Die Israelfeindlichkeit dieser Aktion ist vergleichbar mit der von Gysi nun gestoppten Konferenz im Bundestag, die eine Gruppe linker Israel-Hasser durchführen wollte.

        • @DragonMagico:

          och, ohne blockade hätte es auch keine toten und verletzten gegeben. und auch keine geklauten personal belongings der passagierinnen.

          im übrigen reden wir hier nicht darüber, was Sie finden (dass von Ihnen ausgemachte antisemiten nicht unter dem schutz des internationalen rechts stehen), sondern über http://www.icc-cpi.int/iccdocs/otp/OTP-COM-Article_53%281%29-Report-06Nov2014Eng.pdf

           

          vielleicht lesen Sie erst mal, um zu verstehen, nach welchen prinzipien das ereignis gaza-flotilla beim ICC abgehandelt wird.

          • @christine rölke-sommer:

            "vielleicht lesen Sie erst mal, um zu verstehen, nach welchen prinzipien das ereignis gaza-flotilla beim ICC abgehandelt wird."

             

            Ach, vielleicht befassen Sie sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Zum Beispiel auch damit, dass die Fatah in ihrer Charta eine „Ausrottung jeder ökonomischen und politischen zionistischen Existenz“ und „einen souveränen Staat auf dem Boden ganz Palästinas, mit Jerusalem als Hauptstadt.“ (Artikel 12 und 13) fordert. Ebenso damit, dass die radikalislamische Hamas Israel nicht anerkennt und in ihrer Charta die Errichtung eines Gottesstaats auf dem Boden des heutigen Israels mit ganz Jerusalem als Hauptstadt fordert. Jede Aktion, die diese Bestrebungen der Hamas und Fatah fördern und auf die Vernichtung Israels zielen, ist zu verurteilen und notfalls mit Gewalt zu begegnen. Wenn Linke (und Rechte) außerhalb der Region sich auf die Seite von Fatah und Hamas schlagen, wohl wissend, welche Ziele diese Organisationen verfolgen, dann geschieh das nicht aus Nächstenliebe oder Parteinahme für die Palästinenser, sondern ist antisemitsch (= judenfeindlich) motiviert. Israel ist zum Lieblingshassobjekt der Antisemiten aus aller Herren und Frauen Länder geworden. .

            • @DragonMagico:

              noch mal: hier interessiert es nicht, wen alles und aus welchen hehren oder auch nicht gründen heraus Sie für antisemiten halten. obwohl ich ja schon bemerkenswert finde, wie locker vom hocker Sie anderen den schutz durch die rule of law entziehen möchten.

              aber auch darum geht es nicht.

              sondern darum, dass und mit welcher begründung frau Bensouda die vorläufige untersuchung einstellt, obwohl - oder weil - sie feststellt:

              „The information available provides a reasonable basis to believe that war crimes under the Court’s jurisdiction have been committed in the context of interception and takeover of the Mavi Marmara

              by IDF soldiers on 31 May 2010, including namely: (1) wilful killing pursuant to article 8(2)(a)(i);

              (2) wilfully causing serious injury to body and health pursuant to article 8(2)(a)(iii); and (3) committing outrages upon personal dignity pursuant to article 8(2)(b)(xxi). If the blockade was unlawful, an issue on which the Office has not taken a position, there is consequently also a reasonable basis to believe that the IDF committed the crime of intentionally directing an attack against two civilian objects pursuant to article 8(2)(b)(ii) in relation of the forcible boarding of the

              Mavi Marmara and the Eleftheri Mesogios/Sofia. The Office emphasises that these conclusions are

              solely based on the assessment of the information available at this stage and in accordance with

              the ‘reasonable basis’ standard. Not having collected evidence itself, the Office’s analysis in this report must therefore not be considered to be the result of an investigation.“ (seite 60, nr.149)

              die charta von hamas oder plo war nicht gegenstand der prüfung. die des likud ja auch nicht.

          • @christine rölke-sommer:

            "och, ohne blockade hätte es auch keine toten und verletzten gegeben."

             

            Ohne Selbstmordkommandos und Raketen- und Mörsergranaten hätte es keine Blockade gegeben. So wird ein Schuh draus.

  • Wahrscheinlich waren es keine "Kriegsverbrechen", aber israelische Soldaten haben auf dem Schiff auf internationalen Gewässern Leute umgebracht.

    Ein Faktor ist, was für Kämpfe auf dem Schiff stattfanden.

    Auf jeden Fall sind da "Delikte" begangen worden - Totschlag zumindest.

    Wo wird das geahndet?

  • "„Dies ist ein moralischer Kampf, den wir auf eigene Faust weiter verfolgen werden“, sagte Ramazan Ariturk. "Es ist ein Kampf im Namen der Humanität."

     

    Na, ich hoffe der türkische Anwalt setzt sich auch für die Humanität in seinem eigenen Lande ein. Wie heißt es doch so schön: "Ein jeder kehre vor seiner eignen Tür" oder "Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen."

  • unter http://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/press%20and%20media/press%20releases/Pages/otp-statement-06-11-2014.aspx

    kann eine jeder die erklärung selbst nachlesen, - hören und/oder angucken.

    und dann mag eine jeder selbst schließen, ob "(..) I have concluded that the potential case(s) likely arising from an investigation into this incident would not be of "sufficient gravity" to justify further action by the ICC. The gravity requirement is an explicit legal criteria set by the Rome Statute.

    Without in any way minimizing the impact of the alleged crimes on the victims and their families, I have to be guided by the Rome Statute, in accordance with which, the ICC shall prioritize war crimes committed on a large scale or pursuant to a plan or policy. "

    den untertitel "Israel hat beim Sturm der „Mavi Marmara“ 2010 keine Kriegsverbrechen begangen." trägt.

    • 1G
      1393 (Profil gelöscht)
      @christine rölke-sommer:

      Tja, warum der Leser angelogen wird, dass es keine Kriegsverbrechen waren, den kennt der Leser, der die Informationsblockade in den Deutschen Medien verfolgt. Eigentlich sollte ja ein Reporter den Widerspruch in der Überschrift zu verstehen befähigt sein.

       

      Wenn es heißt, dass die Kriegsverbrechen, welches die Hinrichtungen auf der Mavi Marmara mit Kopf/Rückenschüssen aus nächster Nähe zweifellos waren,

      http://www.theguardian.com/world/2010/jun/04/gaza-flotilla-activists-autopsy-results

      seinen nicht "schwerwiegend genug um verfolgt zu werden" heißt das ja gewiss nicht, dass es keine gab, wie in der Überschrift gelogen wird.

    • @christine rölke-sommer:

      Frau Rölke-Sommer,

       

      können Sie nachvollziehen, inwiefern das "oder Kriterium" nach einem Plan respektive der politischen Strategie Israels nicht erfüllt sein soll, den Gaza Streifen abgeriegelt und unter Israels militärischer Kontrolle zu halten? Mit allen negativen Effekten die damit einhergehen, insbesondere der Unterdrückung der Selbstbestimmungsrechte des palästinensischen Volkes und einem freien Handel dessen.

       

      Die hier zu untersuchenden potentiellen Morde sind doch eine direkte Folge dieser Politik...?

       

      MfG

      • @Pleb:

        so weit ich den report bislang gelesen habe, liegt es daran, dass gegenstand der untersuchung nur die ereignisse auf den drei schiffen sein können, die unter der flagge von rom-statut-signatarstaaten fahren - unabhängig davon, wie die besatzung/blockade selbst juristisch bewertet wird.

        die schwierigkeit liegt also darin, die auf den schiffen begangenen verbrechen (und da ist der report eindeutig) als teil eines gegen die zivilbevölkerung Gazas ausgeführten plans einzuordnen und nach den verfahrensregeln des rom-statuts weiter zu untersuchen.

        knifflig: wie weite (vertiefe) ich die untersuchung aus, wenn ich den örtlichen+zeitlichen gegenstand der untersuchung nicht ausweiten darf?

         

        ich sag's mal so: hätte man die schiffe mit frau+maus versenkt, wäre die 'gravity' ganz eindeutig gegeben. so aber bleibt abzuwarten, was die anwälte der Komoren noch vorzubringen haben, um die mangelnde 'gravity' zu entkräften.