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Ermittlungen gegen Alt-NazisZwölf SS-Täter im Visier

Staatsanwälte im gesamten Bundesgebiet ermitteln wegen Beihilfe zum Mord gegen KZ-Wachpersonal, das in Stutthof und Auschwitz Dienst tat.

Sein Fall schreibt Rechtsgeschichte: Oskar Gröning, 2015 in Lüneburg zu vier Jahren Haft verurteilt Foto: ap

Berlin taz | Auch mehr als 71 Jahre nach dem Untergang des Naziregimes sind die Verfahren gegen die Täter nicht beendet. Staatsanwaltschaften im gesamten Bundesgebiet ermitteln derzeit gegen 12 mutmaßliche Wachmänner- und -frauen in früheren deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord. Wie viele aber tatsächlich angeklagt werden, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit musste die Mehrzahl der Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit der Verdächtigen aufgrund ihres hohen Alters eingestellt werden.

Der jüngste Fall kommt aus dem Raum Wuppertal. Andreas Brendel von der NRW-Schwerpunktstaatsanwaltschaft für NS-Verbrechen in Dortmund sagte am Wochenende, es gehe um einen 92-jährigen ehemaligen SS-Mann, der im Konzentrationslager Stutthof eingesetzt worden war. Er sei in der Endphase des Lagers dort gewesen, als in Stutthof viele Menschen vergast worden seien, sagte Brendel.

Der Mann habe zugegeben, in Stutthof eingesetzt gewesen zu sein, behaupte aber, nicht bei den Morden dabei gewesen zu sein und davon auch nichts mitbekommen zu haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass die bloße Anwesenheit für eine Anklage ausreicht und beziehen sich dabei auf die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Fall von Oskar Gröning, der 2015 in Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord zu vier Jahren Haft verurteilt worden war. Der BGH hatte im November 2016 entschieden, dass Gröning „durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz den Führungspersonen in Staat und SS Hilfe“ geleistet habe. Ein individueller Mordvorwurf, wie sie die frühere Rechtsprechung verlangte und weswegen Tausende mutmaßliche Täter nicht zur Rechenschaft gezogen worden waren, sei deshalb bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord nicht notwendig.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass Staatsanwaltschaften in Gera, Stuttgart und Celle Anklagen gegen drei ehemalige Auschwitz-Wachmänner prüfen. Diese Ermittlungen gehen auf Recherchen der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg zurück. Die mutmaßlichen Täter sind nach Angaben des dortigen Staatsanwalts Jens Rommel alle über 90 Jahre alte Männer. „Sie fallen in die Geburtsjahrgänge 1922 und 1923“, sagte Rommel der Süddeutschen Zeitung. In Ludwigsburg sei man dazu übergegangen, die NS-Verfahren wegen des hohen Alters der Verdächtigen beschleunigt an die zuständigen Staatsanwaltschaften weiterzuleiten. Der Anfangsverdacht begründet sich meist über Datenabgleiche und durch Recherchen über frühere NS-Verfahren.

Die Verdächtigen fallen in die Jahr­gänge 1922 und 1923

Staatsanwalt Jens Rommel

Weitere acht Ermittlungsverfahren gegen NS-Wachpersonal laufen seit Sommer 2016 bei den Staatsanwaltschaften in Hamburg, München, Lübeck, Dortmund, Celle, Stuttgart und Itzehoe, sagte Rommel der taz. Es handelt sich um vier Männer und vier Frauen, die in Stutthof Dienst getan haben sollen. Auch diese Verfahren gehen auf Vorermittlungen in Ludwigsburg zurück. Vor dem Landgericht Neubrandenburg muss sich zudem der frühere Auschwitz-Sanitäter Hubert Zafke (96) verantworten. Der erste Prozess gegen ihn platzte aufgrund von Verfahrensstreitigkeiten im letzten Herbst. Eine Neuauflage verzögert sich derzeit, weil das Gericht auf zwei Gesundheitsgutachten über den Angeklagten wartet.

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8 Kommentare

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  • Ja,die Mühlen der Justiz.....

    Sie mahlen nur,wenn es politisch oportun ist.Mann,wie mich das ankotzt.

  • Ob die betreffenden Leute tatsächlich ins Gefängnis müssen, ist inzwischen möglicherweise zweitrangig. Viel wichtiger ist das Signal an die gegenwärtig aktiven Verbrecher weltweit: Sie sollen sich nicht zu sicher sein. Es kann zwar im Einzelfall längere Zeit dauern, bis ihre Verbrechen sie wieder einholen. Aber sie werden sich dann nicht auf ihre Ideologie und ihre Befehlsgeber, die ihnen das „Recht“ gaben, herausreden können!

     

    Diese Botschaft ist bei den Betreffenden durchaus angekommen. Sie wollen sich nun vorsichtshalber aus einer drohenden Strafverfolgung heraus mogeln. Und so gibt es eine illustre Gesellschaft von Staaten, allen voran USA, Russland, China und etlichen afrikanischen Staaten, die z. B. den Verträgen mit dem Haager Strafgerichtshof gar nicht erst beigetreten sind oder sich neuerdings wieder verabschiedet haben!

    • @Pfanni:

      Sie reden sich die ganze Sache schön. Es hat nicht im "Einzelfall" länger gedauert. Es kam nur im Einzelfall überhaupt zur Anklage. Vermutlich kamen über 99% einfach so davon. Noch heute erhalten KZ-Aufseher ihre auf der Rampe ordentlich erworbene Rente. Dass man nun jedes Jahr einen 90-jährigen vor den Kadi zerrt, dient doch nur dazu, dass man den der Rechtsstaat-verfolgt-die Verbrecher-unerbittlich-Mythos aufrecht erhalten kann.

       

      Dass inzwischen zunehmend Staaten den Strafgerichtshof ablehnen ist eine andere Baustelle und kann ja nicht verwundern, wenn man sich ansieht wer dort angeklagt wurde und wer nicht. Ich erinnere dabei an den ehemaligen NATO-Sprecher Jamie Shea, der das Haager Tribunal als die "Freundin der NATO" bezeichnet hat. Dieses Signal ging ebenfalls um die Welt.

  • reine ABM das

  • Also GANZ ehrlich: Diese "Verfahren" sind ein WITZ der Geschichte. Sind wir doch mal ehrlich: WAS bitte soll bei diesen "Verfahren" noch herauskommen? WEM bitte sollen diese "Verfahren" nützen? WEN will der Staat bei diesen "Verfahren" strafen? Etwa 90-jährige Greise die - so oder so - jeden Tag sterben können/werden und so oder so haftunfähig sind?

    DAS liebe Leser ist ein VERLOGENES Stück "Aufarbeitung".

    DENN: Solange man WIRKLICH hätte ermitteln UND zugreifen können, hat man es NICHT getan. DAMALS waren viel zu viele NS-Täter in HOHEN ÄMTERN, von der Ministerialbürokratie, über hohe Richter- und Staatsanwaltsposten bis hin zu MINISTERPRÄSIDENTENsesseln!

    DAMALS haben die "Eliten" zielführende Ermittlungen zu verhindern gewusst, in trauter Verbundenheit.

    DESHALB (!) sind die heutigen "Verfahren" ein - mehr als trauriger und obendrein durch und durch verlogener - Witz der Geschichte.

    Es gäbe - wahrlich (!) - jede Menge WIRKLICH sinnvolle EINSATZmöglichkeiten auf den Gebieten der organisierten Kriminalität für all diese - mit total unsinniger Arbeit gebundenen - Srafverfolger. DAS ist die traurige Wahrheit, an der niemand mehr wirklich etwas zu ändern vermag.

    • @Georg Dallmann:

      Wenn die schweigenden NutznießerInnen und andere aus der Generation der jetzt angeklagten, wie auch die Generation der Kinder es nicht oder nur in sehr wenigen Fällen und dann oft nur durch großes Engagement von Menschen wie Beate und Serge Klarsfeld geschafft haben sich gegen ihre Generationsmitglieder oder die ihrer Eltern zu wenden, dann sollen eben wenigstens jene, die jetzt etwas mehr zeitlichen Abstand haben noch den restlichen davongekommenen TäterInnen ihre rechtsstaatlich abgesicherte Bestrafung zu kommen lassen. Gewisse Taten können und dürfen nicht verjähren. Im Grunde geht es nun darum zu zeigen, dass Taten gegen die Menschlichkeit auch nach über 70 Jahren nicht zu recht fertigen sind. Aus der späten Verfolgung der TäterInnen können wir nur die Lehre ziehen, dass es nicht noch einmal passieren darf, dass jene, die so vielen das Leben oder die Leebnsgrundlage genommen haben in unserer Mitte ein unbescholtenes Leben führen konnten, ohne für Ihre Taten einstehen zu müssen.

    • @Georg Dallmann:

      "DESHALB (!) sind die heutigen "Verfahren" ein - mehr als trauriger und obendrein durch und durch verlogener - Witz der Geschichte."

       

      Lieber Herr Capslock,

       

      der traurige und verlogene Witz der Geschichte ist nicht die Aufnahme dieser Verfahren, sondern im Gegenteil, dass es nicht früher schon konsequent geschehen ist (was Sie ja auch bemängeln).

    • @Georg Dallmann:

      willkommen in der realen Welt