Erinnerungen an Bettina Gaus: Mach’s gut
Unsere langjährige Kollegin und Freundin Bettina Gaus ist gestorben. Sie war präzise und klug, schrullig und herzlich. tazlerInnen erinnern sich.
Ein zweites Zuhause
Vor etwa 22 Jahren begegnete ich Bettina das erste Mal. Ich hatte mich in der Schule mit ihrer Tochter Nora angefreundet, schnell waren wir unzertrennlich. Nach der Schule gingen wir oft zu Nora nach Hause, in diese liebevoll eingerichtete Wohnung, in der so viele Bücher standen und Zeitungen herumlagen, in der ein Ölgemälde an der Küchenwand hing, auf dem Bettina über einen Markt in Nairobi läuft, die Handtasche über die rechte Schulter gehängt. Wir saßen dann meist eine Weile mit Bettina zusammen. Sie diskutierte mit uns über das, was sie oder uns gerade bewegte, auf Augenhöhe. Die Lust am Disput, die Ironie – es war eine Welt, die ich nicht kannte und die mich beeindruckte.
Mit 14 vermittelte Bettina mir das Schülerpraktikum bei der taz. Ich hatte Zweifel an mir, an meinen Fähigkeiten. Bettina sagte mit ihrer unbestechlichen Überzeugung: „Du bist doch ein politischer Mensch“. Es war nur einer von vielen Momenten des Zuspruchs, der Ermunterung, zu vertrauen. Über die Jahre des Erwachsenwerdens habe ich sie oft um Rat gebeten, in privaten wie beruflichen Dingen. Bettina und diese Wohnung, ein zweites Zuhause, waren immer da und werden nun immer fehlen. Nora Belghaus
Punkt oder Komma?
„Der diskutiert um jedes Komma“, lautet ein unfreundliches Wort unter Redakteuren über „schwierige“ Autoren. Dabei gibt es in Wirklichkeit nur sehr wenige Journalisten, die leidenschaftlich über ein Komma diskutieren. Bettina Gaus gehörte dazu. Und mir war es eine Freude. Als ich 2007 zur taz kam, arbeitete sie nicht mehr als Redakteurin, sodass die Rollenverteilung stets so aussah: sie Autorin, ich Redakteur. Dank der Präzision und Eleganz ihrer Texte hatte ich eigentlich nichts zu tun.
Dennoch fielen mir immer einige Winzigkeiten auf: Punkt oder Komma zwischen diesen beiden Hauptsätzen, dieses oder jenes Verb, solche Sachen. In mittellangen Gesprächen konnte ich sie an einer Stelle überzeugen, an der anderen sie mich, und an der dritten fanden wir, ganz dialektisch, eine dritte Lösung. Andere Kollegen – hervorragende Journalisten – hätten diese Änderungen nicht mal bemerkt. Bettina aber freute sich. Sie wollte in jeder Hinsicht das Beste, keine Winzigkeit weniger. Deniz Yücel
Immer lustiger
Wir kamen von zwei Planeten. Sie kam vom Planeten Moral, ich vom Planeten Ironie, und deshalb hielt ich lieber einen Sicherheitsabstand zu Bettina Gaus. Sie war zu ernst und zu schwer für mich. Wenn es doch sein musste, weil der zuständige Kollege nicht da war, sprachen wir jedes Mal in zwei verschiedenen Sprachen aneinander vorbei.
Weil ich aber ein Schnellmerker bin, dauerte es keine zwei Jahrzehnte, bis ich raffte, dass ich total falsch lag.
Während ich immer ernster wurde, erschien mir Bettina jetzt immer lustiger. Ich habe niemand sonst kennengelernt, der beim Sprechen über Welt und Leute neben dem Erkenntnisdrang so einen unbedingten Willen zur Pointe hat – und die Fähigkeit, Menschenliebe und Spottlust in diesen Pointen auf höchstem ethischen Unterhaltungsniveau zusammenzubringen.
Kurzum: Wir kamen gar nicht von zwei Planeten. Und falls doch, dann haben wir uns in der Mitte getroffen. Peter Unfried
Nerdige Diskussionen
Der republikanische Kandidat gewinnt die Gouverneurswahlen in Virginia. Das wäre einer dieser Momente gewesen, in denen ich mich auf ein längeres Telefonat oder einen Chat mit Bettina gefreut hätte. Mit niemanden konnte man so nerdig über US-Politik diskutieren wie mit ihr. Unsere Wette auf den Wahlsieg Clinton oder Trump 2016 hatten wir privat abgeschlossen, aber dann öffentlich gemacht und die Wahlnacht über, in der taz sitzend und immer wieder auf dem Balkon rauchend, auf taz.de diskutiert.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Dabei war Bettina auch mir viel mehr als nur lustvolle Sparringspartnerin zum Ausprobieren möglicher Kommentarthesen. Sie war auch vertrauliche Beraterin in allen Arbeits- und Lebenslagen. Man verzieh ihr deshalb alle Schrulligkeiten wie ihre konsequente Nichtbenutzung öffentlicher Verkehrsmittel, wenn sie in ein Taxi stieg, während man selbst im Regen mit dem Fahrrad nach Hause musste – ein Verkehrsmittel, auf dem man sich Bettina noch weniger hätte vorstellen können als in der U-Bahn.
Bettina fehlt. Nicht mehr mit ihr reden zu können ist, wie sie womöglich formuliert hätte, in der Tat nicht akzeptabel. Bernd Pickert
„Bettina hat gesagt“
Prenzlauer Berg an einem Sommerabend vor vielen Jahren. Eine Kollegin feiert ihren Abschied von der taz, das Café, das sie dafür gemietet hatte, ist voll. Bettina steht draußen und raucht, in der Hand ein Glas Weißwein. Um sie herum ein paar Frauen, wir quatschen, ich frage Bettina: „Und? Demnächst wieder im Presseclub?“ Sie lacht ihr blechernes Lachen und sagt: „Klar.“ Ich: „Wie machst du das? Alles wissen, hart argumentieren, scharf kontern?“
Sie: „Ich weiß gar nicht alles.“ „Sieht aber nicht so aus.“ „Dann musst du es so aussehen lassen.“ „Wie?“ „Ganz einfach“, sagt sie, macht eine ihrer berühmtem Kunstpausen, zieht an der Zigarette und sagt: „Nimm deine drei wichtigsten Thesen und trag sie immer wieder vor. Egal, ob du danach gefragt wirst oder nicht.“ Wenn ich seitdem mit anderen darüber spreche, wie man sich am besten auf Talkrunden vorbereitet, gibt es immer eine, die sagt: „Bettina hat gesagt …“ Simone Schmollack
Respekt und Freundschaft
Als ich Bettina Gaus zum ersten Mal duzen musste, weil wir ja nun offiziell taz-Kollegen waren und man das zwangsläufig so macht in der taz, kam mir dieses „Du“ nicht leicht über die Lippen. Ich hatte so großen Respekt vor ihr, dass es mir unpassend erschien.
Der Respekt ist geblieben, auch als über die Jahre zunächst ein kollegiales und schließlich auch ein freundschaftliches Verhältnis entstanden ist. Gleich, ob wir zusammen Zigaretten rauchten und Weißweingläser leerten zu später Stunde oder ich am Freitagmittag ihre Kolumne „Macht“ für die taz am Wochenende redigierte.
Ein Ritual, das ich schon vermisse, seitdem Bettina zum Spiegel gewechselt war. Mit konspirativer Hilfe der Layout-Kollegen hatte ich stets den eigentlichen Zeilenrahmen überdehnt, sodass nur noch ein minimaler Übersatz bestand. Über den sich Bettina dann trotzdem empörte, bevor wir uns in einem ausgiebigen redaktionellen Prozess der Kürzung zweier Zeilen widmeten. Sie nahm ihre Texte ernst und damit sich selbst. Völlig zu Recht übrigens.
Nein, das „Du“ ist mir dann nicht mehr schwer gefallen. Aber jetzt fehlst du. Sehr. Martin Reichert
Ein großes Glück
Wenn wir – zumeist Martin Reichert und ich – nicht selbst im richtigen Moment daran dachten, Bettina Gaus um die Mitte der Woche herum anzurufen, um mögliche Themen für ihre Kolumne zu besprechen, dann ereilten uns mitunter flehende, sehnende oder auch mal panische Mails („Feeeelix bitte!!!!!“).
Es drängte sie, zu schreiben, sie hatte auch meistens die beste Kolumnenidee, aber es war ihr ebenso ein Bedürfnis, mit jemandem darüber zu reden. Dass ich dazu gehörte – allein qua Amt als Wochenend-Ressortleiter –, war mir ein großes Glück. Alle zwei Wochen mit Bettina Gaus die Lage zu erörtern – oder zuzuhören, wie sie auf aktuelle Themen und Debatten blickte, Fragen zu stellen, die sie beantwortete –, das war Weltkunde, Sprachkunde, Nachhilfe in so vielem und im besten Sinne. Ich bin dankbar dafür. Und ich vermisse das, auch das stets fröhliche Gesprächsende: „Mach’s gut, mein Lieber!“ Mach’s gut, Bettina! Felix Zimmermann
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