Erinnerung an Claus Peymann: Autoritäre Briefe
Claus Peymann ging immer auf Konfrontation, mit den Mächtigen der Welt, aber auch sonst. Eine ambivalente persönliche Anmerkung.

Gelegentlich kam Post vom BE. Claus Peymann gefiel dann wieder was nicht, meistens wie eine Inszenierung in der taz besprochen wurde. Das brachte er wortmächtig und durchaus auch beleidigend zum Ausdruck. Als Kulturredakteur schaute man mit gemischten Gefühlen auf diese Briefe.
Man kannte Peymann schon vom Studium, in meinem Fall: Sommermester 1988, Hauptseminar „Anti-bürgerliche Klassiker-Inszenierungen“, mittendrin Peymanns „Hermannsschlacht“, Bochum 1982. Und wie großartig war dieses André-Müller-Interview mit ihm, abgedruckt in der Zeit, 1988!
Aber man war ja nicht umsonst bei einer antiautoritären Zeitung gelandet. Gegen autoritäre Standpauken, auch wenn der Absender sich als noch so links verstand, war man halt allergisch. Und ästhetisch war das Sprechtheater, für das Peymann stand, nicht mehr das aufregende Ding; das Berlin der nuller Jahre war halt nicht das provokationsbedürftige Österreich der 80er, das nie ein 68 gehabt hatte, man orientierte sich in Berlin eher Richtung Postdramatik und Volksbühne. Und wenn schon Sprechtheater, dann von Jürgen Gosch.
Dass die großen Theaterbesprechungen nicht mehr im Kern der bürgerlichen Identität stehen und von den Aufmacherseiten der Feuilletons in die Innenteile gewandert (oder gleich ganz verschwunden) sind, hat selbstverständlich viele Gründe. Vielleicht hat die Entwicklung aber auch damit etwas zu tun, dass solche Theaterfürsten wie Claus Peymann immer am Machtpol bleiben und ihre Alpha-Male-Sachen machen wollten – Gegenkönige sein, die eigentlichen Herrscher sein, immer in Konfrontation nicht nur zu den Mächtigen der Welt, sondern auch mit möglichen Nachfolgern am Theater – und dabei gar nicht gemerkt haben, wie sie aus der Zeit rutschten.
Phantomschmerz meldet sich
Gibt es jetzt, im Nachhinein, mögliche Anknüpfungspunkte? In seiner Art und Weise, Theater als kleines Königreich oder, sagen wir es ruhig, als Diktator zu führen, sicher nicht. In den Herr-und-Knecht-Spielen mit der Staatsmacht, die Peymann so liebte und die jetzt in den Nachrufen wieder rausgesucht werden (Geld sammeln für die Zähne von Gudrun Ensslin, „Heldenplatz“ usw.), wohl auch nicht. Aber vielleicht, man weiß ja nicht, in diesem leichten Phantomschmerz, der sich dann und wann in Richtung des Sprechtheaters meldet.
Seine politischen Interventionen mögen längst Folklore sein, doch daneben gibt es noch seine Behauptung, dass es sich lohnt, nach Wegen zu suchen, wie man das große kulturelle Theatererbe, Kleist, Goethe, auch Tschechow und all das, an Gegenwart andocken kann. Klar, solche Wege suchen viele. Claus Peymann hat sie, für seine Zeit, viele Jahre lang aber auch gefunden.
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