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Erinnerung an Beat-Poetin ruth weissDas Überleben der ruth weiss

Die Beat-Poetin ruth weiss floh aus dem Nazi-Deutsch ins Englische. Von den Beatniks ausgegrenzt, hat sie das Vergessenwerden schon hinter sich.

ruth weiss in Steve Arnolds Film „Luminous Procuress“, San Francisco, 1971 Foto: Steve Arnold Film

ruth weiss soll gestorben sein, am 31. Juli dieses verkackten Jahres schon, in Albion, einem Kaff in Kalifornien. Aber das wollen wir mal lieber nicht glauben. Warum sollte ausgerechnet die Göttin des Beat sterblich sein? Diese großartige kleine Frau mit den leuchtend grünen Haaren? In ihrer Waldhütte? Wozu? „There is no such thing as an end“, sagt ruth weiss ja selbst im biografischen Film „The Beat Goddess“, der im November beim Mendocino-Festival lief: So etwas wie ein Ende gibt es nicht. Und sie glaube an die stetig fort sich drehende Spirale. Wie könnte sie dann sterben?

Geboren wird sie im Frühsommer 1928 als Ruth Elisabeth Weisz in Berlin, 1933 siedelt die Familie um nach Wien. Dort dann Schulbesuch, heimisch geworden, Prägungen. Bis zur Flucht.

Wien war die Geburtsstadt ihres Vaters gewesen: Oskar Weisz, aus guter ungarisch-jüdischer Familie und Journalist, hatten die Nazis selbstverständlich sofort aus Wolffs Telegraphischem Bureau entfernt, der Top-Presseagentur der 1920er. Kein Job mehr, kein Geld, also zurück ins Elternhaus, Neunter Bezirk, es gibt Schlimmeres.

Die orthodoxe Schwiegermama nimmt die Familie auf, verwöhnt das fraglos hochbegabte Kind, das schon mit fünf Jahren nicht nur lesen kann, sondern sogar erste Gedichte schreibt, eines ist erhalten, von einem Bären, der hin und her geht, braune Augen hat, und schon damals wie jeder gute Beatnik zu gar nichts taugen wollte.

Sie zankt sich mit der Mutter Fani Zlata, geborene Glück aus dem slawonischen Daruvar, in Jugoslawien. ruth weiss hat auch verwandtschaftliche Beziehungen zu Roma vermutet. An der Middle School in New York wird sie Anfang der 1940er trotzdem wegen ihrer so deutschen Herkunft als Nazi gemobbt werden. Unschuldige Kinder eben.

Grüne Haare als Zeichen des Friedens

Umzug nach Iowa, Umzug nach Chicago. Als die Eltern nach dem Krieg kurz nach Europa zurückziehen, muss sie noch mit, ein verlorenes Jahr im Internat. Ab 1949 färbt sie dann die Haare grün – nach dem Vorbild des märchenhaften Films „The Boy with Green Hair“, in dem ein Kriegswaise zum Propheten des Friedens auserkoren ist. Und zum Zeichen seiner Berufung wachsen ihm die Haare grün, natürlich in Technicolor.

Auch sonst geht sie jetzt eigene Wege. Das heißt vielmehr: Sie trampt. Nach New York. Nach New Orleans. Dass San Francisco ihr Ziel ist, wird ihr erst klar, als sie dort ankommt, 1952. Für volle 30 Jahre wird das ihre Stadt sein.

Dass weiss das Personalpronomen „i“ in ihrer Dichtung nur als Minuskel nutzt, ist poe­to­lo­gisch motiviert, dass sie ihren eigenen Namen konsequent kleinschreibt, politisch: ruth weiss hat ihn so ab den 1950ern zum Protestzeichen gemacht, gegen die Law-and-Order-Mentalität ihrer Heimat, die vergeblich versucht hatte, sie auszulöschen.

Das Verbrechen, entronnen zu sein

Sie habe keine Geschwister, so hat ruth weiss ihren Antrieb geschildert, „and all my relatives died in concentration camps“. Alle meine Verwandten sind in Konzentrationslagern gestorben: „So my work is the thing that will continue my life“ – mein Werk wird mein Leben fortsetzen. Man kann auch sagen: rechtfertigen. Denn da bleibt das Gefühl einer Schuld, „my concentration camp guilt. that / i got away“, wie es 1993 in „full circle“ heißt. Das Verbrechen, entronnen zu sein – dieses unwahrscheinliche Leben. Dieses Überleben. Darf das jemals aufhören?

Sie hat immer weitergemacht. Hat täglich Bier und Eiscreme gefrühstückt, um gesund zu bleiben. Hat produziert, unermüdlich; unbändig: Sie explodiere in alle möglichen Medien, so ihre eigene Beschreibung, aber stets sei es Dichtung. Noch in diesem Frühjahr hatte sie Auftritte, mit 91 Jahren; nicht mehr als Tänzerin und Performerin, wie früher, in ihrem eigenen Kunstfilm „The Brink“ oder in denen von Dalí-Schüler Steve Arnold, die eine eigenständige Ästhetik der Queerness überhaupt erst denkbar gemacht haben. Aber immer noch mit umwerfender Präsenz.

Sie hat halt einfach auf die Spirale vertraut, that keeps on going. Klar doch. Selbstverständlich hört sich das nach C.-G.-Jung-Geraune an und westküstenesoterischem New-Age-Gebrasel. Dem neigt sie wirklich zu: „AQUARIUS is here to steer us“, heißt es etwa im Gedicht „speak for yourself“ von 1995, und das wird im Band „a fools journey“ korrekt übersetzt als „der WASSERMANN lenkt uns“. Aber meist ist Sinn in Lyrik eine fragwürdigere Kategorie.

Von der source zur Sour Sauce

Und das gilt in besonderem Maße für Gedichte von ruth weiss, die sie zu großen Zyklen arrangiert hat, wie im Band „Light“ von 1976, der in fast hegelianischer Gliederungsfreude daherkommt, oder wie beim über Jahrzehnte komponierten „Desert-Journal“ (1977), das sich so sinnig wie symbolträchtig in 40 Tage unterteilt.

Da stellt dann ein Tag – der dritte – eine klanglich-analytische Verbindung von der Suche nach der Quelle, also der source zur Sour Sauce her, die dann, wie eine Göttin, um Beistand angefleht wird: „SOUR SAUCE / SOUR SAUCE / MARINATE THIS LIFE“.

Oder, auch schön: Am „Siebten Tag“ trennt kaum mehr als ein Zeilensprung ein Epigramm aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ des barocken Mystikers Angelus Silesius von einem absolut praktikablen Rezept für Kaffeelikör. Die Bedeutung ergibt sich auch aus dem dichten Klangbild solcher Verse, der Assonanz, den Binnenreimen, dem Rhythmus, der über die Textfläche hinausdrängt. Auf die Bühnen, dorthin, wo sie sich im Zusammenspiel mit den Instrumenten in Musik verwandelt.

Sehr Österreich, viel Balkan

Und wenn dann also diese kleine grünhaarige Frau ihre Lyrik vortrug, zwischen Bass und Sax und einem Zausel an einem Naturschlagzeug – ihr letzter Lebenspartner, Hal Davis, 20 Jahre jünger, Anfang der 1970er war er mal Soldat gewesen –

Und wenn also diese kleine grünhaarige Frau ans Mikro trat und mit ihrem fast perkussiv-harten Akzent, sehr Österreich, viel Balkan, und mit einer Stimme, die jedes Rauchverbot in den Jazz-Clubs von San Francisco und der Bay Area bestenfalls hat lächerlich wirken lassen –

Und wenn ruth weiss ihre Gedichte rezitierte – Wortinjektionen, wie Sinnsprüche, komplex verwoben in ein großes epigrammatisches Reticulum, das wuchert, wie improvisiert, neue Knospen bildet, unerwartet, nach überall hin offen, wie das Universum, in Versen, deren Rhythmus die Instrumente sanft berührt und vorandrängt, und deren Swing sie weckt und zum Klingen zwingt –

Dich­te­r*in­nen der Zweiten Sprache

Es gibt gar nicht so wenige Menschen, die aus dem Nazi-Deutsch ins Englische geflüchtet sind und in ihrer neuen Heimat Lyri­ke­r*in­nen wurden, Dich­te­r*in­nen der Zweiten Sprache. Die Namen sagen nur wenigen etwas: Lisel Mueller gehört dazu, auch, am berühmtesten, Michael Hamburger.

Bei Arthur Gregor, der mal echt mittendrin war und auf dessen Partys im Village sich die ganze New Yorker Boheme der 1960er tummelte, scheint selbst sein Verlag nicht mitbekommen zu haben, dass er vor sieben Jahren gestorben ist. Dann sind da noch Felix Pollak, Alice Beer, Karen Gershon und Anne Kind gewesen, doch, doch es sind einige.

Und Lotte Kramer und Gerda Mayer, die beide in England leben, haben das zweifelhafte Glück, von der Literaturwissenschaft in die Rubrik „Kindertransport-Poets“ einsortiert zu werden: Vielleicht ist eine Schublade besser als völlige Ignoranz. Die vorherrscht. Aber nicht in Bezug auf ruth weiss.

Wiederentdeckung Mitte der 1990er

ruth weiss hat sozusagen das Vergessenwerden schon hinter sich. Das ist keine kühne Hypothese, denn außer dem amerikanischen Film von Melody Miller ist aktuell einer des Künstlers und Literaturhistorikers Thomas Antonic in der Postproduktion. „one more step west is the sea …“ heißt er und soll kommendes Jahr in Kinos laufen. Auch wird geforscht zu ihr. Und, was die Gedichtbände angeht: Sicher, die Originalausgaben sind längst vergriffen. Aber ein guter Querschnitt des Œuvres ist dank der formidablen Wiener edition exil leicht zu haben.

Die Bücher

ruth weiss in der edition exil:

„a fools journey / die reise des narren“. gedichte & erzählungen, wien 2002

„o dancing aloud / lautes tanzen nicht erlaubt“. stücke & gedichte, wien 2006

„full circle / ein kreis vollendet sich“, Wien 2012

„the snake sez yesssss / die schlange sagt jetzzzzzt“. gedichte, Wien 2013

Dabei war sie ganz weg gewesen. Die Wiederentdeckung datiert auf Mitte der 1990er. Und zustande kam sie, weil sich Brenda Knight damals gesagt hatte: Komisch, viel Sex in der Beat-Dichtung, auch mit Frauen, und trotzdem: Wo sind sie geblieben?, und anfing zu suchen.

Schließlich hatte die Lektorin eine ganze Galerie von Dichterinnen zutage gefördert, mit ruth weiss gewissermaßen an der Spitze, die Teil jener Dichtungs-Revolution waren, aber von ihren Anführern beschwiegen wurden. Kein Wunder, hatten die doch als Ursprung der Freude des Dichtens „den reinen mannhaften Drang, freimütig zu singen“ proklamiert.

Beat mit reaktionären Unterströmungen

Der Satz stammt aus einem Beat-Manifest von Jack Kerouac und erinnert daran, dass es auch in dieser Revolution maskulinistischen Scheiß gab, reaktionäre Unterströmungen, Ausschließungen, Abgrenzungen, Ausgrenzungen, Sexismus, Rassismus und Hierarchien: Lawrence Ferlinghetti war der Verleger der Bewegung – und er druckte weiss nicht.

Und Allen Ginsberg war Chef der Marke Beat. Und die arme ruth weiss soll er regelrecht gehasst haben – vielleicht, weil sie 1952 seine Vormieterin in 1010 Montgomery Street gewesen war, wo er drei Jahre später „The Howl“ schreiben sollte, sein Meisterwerk. Aber eigentlich ist das nur ein Platzhalter für einen Grund, den es nicht gibt.

ruth weiss war da, als es losging, war mittendrin im Aufbruch der 1950er und hat der Bewegung entscheidende Impulse verliehen: Poetry-&-Jazz-Sessions hatte sie in der berühmten Kneipe The Cellar als Label etabliert, bevor andere – zwei Männer – auf die Idee kamen, es in genau der Location zu kapern und groß zu vermarkten. Natürlich ganz ohne weiss. Sie ließ es geschehen. Machte ihr Ding. Kümmerte sich nicht um Ruhm. Jobbte. Überlebte.

Sie sei wirklich nie Teil des inner circle gewesen, never, das habe sie auch gar nicht gewollt: „This is not my style.“ Und außerdem: Lieber als Beat-Göttin würde sie gern Jazz-Dichterin heißen.

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