Erich Rathfelder über Montenegros nächste Regierung: Wackliges Zweckbündnis
Erstmals seit dem Zerfall Jugoslawiens ist ein Machtwechsel in Montenegro möglich. Das liegt zum einen daran, dass es bei der Wahl am Sonntag der proserbischen „Partei für die Zukunft Montenegros“ gelang, die Menschen zu mobilisieren, die sich als Serben fühlen und von der serbisch-orthodoxen Kirche beeinflusst sind. Und zweitens daran, dass es den liberalen und grün-zivilgesellschaftlichen Parteien gelungen ist, fast 20 Prozent der Bevölkerung für den Kampf gegen die Korruption im Staatsapparat und für eine Demokratisierung des Systems zu aktivieren.
Würden alle Oppositionsparteien zusammengehen und eine Koalition bilden, kämen sie auf 41 der 81 Sitze, die alte Koalition aus Sozialisten, Sozialdemokraten und den Minderheiten der Albaner und Bosniaken auf 40 Sitze. Das ist eine sehr wackelige Angelegenheit. Zumal in diesem Bündnis Leute zusammensäßen, die unterschiedlicher nicht sein können.
Während die mit nationalistischen Extremisten durchsetzte proserbische Partei Montenegro wieder enger an das Serbien des diktatorisch herrschenden Aleksandar Vučić binden möchte, wollen die anderen Parteien weiter an einer demokratisch europäischen Zukunft arbeiten. Dass es sofort nach dem Wahlergebnis zu Übergriffen serbischer Extremisten gegenüber Muslimen kam, kann den liberalen und zivilgesellschaftlichen Kräften nicht gefallen.
Bei aller Kritik an Milo Đukanović – der weiterhin Präsident bleibt – kann man ihm und seiner Sozialistischen Partei auch nicht absprechen, das Land näher an den Westen, die Nato und an die EU herangeführt zu haben. Die größte Leistung ist aber, dass der Vielvölkerstaat Montenegro den inneren Frieden bewahrte: Auch Albaner und Bosniaken konnten sich in diesem Staat sicher fühlen.
Die avisierte Regierung von „Experten“ könnte einen Kompromiss darstellen. Hätte sie aber die Kraft, die durch Corona verschärfte Wirtschaftskrise zu bewältigen und den Umbau des Staatsapparates anzugehen? Wenn nur ein Abgeordneter die Seiten wechselt, wäre sie schon am Ende.
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