Eric Bonse über die Regierungskrise in Belgien: Migrationspakt als Vorwand
Es ist keine Überraschung, dass die belgische Regierung zerbricht. Die Vier-Parteien-Koalition von Premierminister Charles Michel stand von Anfang an auf wackligen Füßen. Wegen der Beteiligung der separatistischen flämischen N-VA (Nieuw-Vlaamse Alliantie) wurde sie auch Kamikaze-Koalition genannt. N-VA-Chef Bart De Wever hat nun die Reißleine gezogen.
Dass er dafür den UN-Migrationspakt nutzt, ist kein Zufall. Nationalisten und Populisten aller Länder instrumentalisieren diesen Pakt für Angstmache und Verschwörungstheorien. Das ist in Belgien nicht anders als in Deutschland oder Österreich, wo sich sogar die komplette Regierung vom Migrationspakt distanziert hat.
In Brüssel ist die Lage jedoch anders als in Wien. Hier gab und gibt es sowohl in der Regierung als auch im Parlament eine Mehrheit für den Pakt. Michel hat sich die Zustimmung im Parlament sogar noch einmal bestätigen lassen. Er wird nun versuchen, mit einer anderen Mehrheit weiterzumachen.
Diese „alternative“ Mehrheit gibt es – jedenfalls in der Region Brüssel und in der Wallonie. Bei der Kommunalwahl im Oktober haben dort Grüne und Linke zugelegt. Ganz anders sieht das Bild allerdings in Flandern aus. Dort hat der rechtsextreme „Vlaams Belang“ hinzugewonnen. Dies ist einer der Gründe, weshalb die N-VA nun aus der Föderalregierung aussteigt. Sie ist unter Druck von ganz rechts geraten. Ein anderer Grund sind die Parlamentswahlen im Mai. Bart de Wever und seine N-VA schielen auf die Umfragen – und gehen auf Wählerfang in trüben Gewässern.
Der Streit über den UN-Migrationspakt ist dabei letztlich nur ein willkommener Vorwand. Im Kern geht es um die Frage, ob Belgien auf eine Art Jamaika-Koalition unter Einbeziehung der Grünen zustrebt – oder ob das liberale Königreich nach rechts rutscht und noch tiefer gespalten wird.
Doch zunächst richten sich alle Augen auf die UN-Konferenz in Marrakesch. Michel hat das Richtige getan – und kann nun unbeschwert nach Marokko fliegen, um Belgiens Zustimmung zu bekräftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen