Erfundene "Neon"-Interviews: Die Butter verriet ihn
Gespräche mit Beyoncé Knowles oder Snoop Dogg im Magazin "Neon"? Alles nur ausgedacht, wurde jetzt bekannt. Und der fabulierende Journalist prompt gefeuert.
Das Profil "Ingo_M." auf Neon.de gibt es nicht mehr. Ingo M., bis zu dieser Woche Mitarbeiter des Münchener Magazins Neon, bat bei seiner Entlassung darum, es zu löschen. Auf einem anderen Internetprofil, das er vor neun Jahren, mit 27, zum letzten Mal aktualisierte, steht ein Satz, der immer noch gilt. "Heute glücklicher als ich: Michael Ebert."
Michael Ebert ist einer der beiden Chefredakteure des Magazins Neon. Und Ingo M. ist nun arbeitslos. Er hat mindestens fünf Interviews mit Musikern gefälscht. Alle erschienen in dem Magazin. Den Medienskandal veröffentlichte Neon selbst auf seiner Homepage: "In der Ausgabe 01/2010 veröffentlichte NEON ein Interview des Mitarbeiters Ingo M. mit der Sängerin Beyoncé Knowles. Durch Hinweise des Managements der Künstlerin sind Zweifel an der Echtheit des Interviews entstanden. Die NEON-Chefredaktion hat den Autoren mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er die Antworten der Sängerin erfunden habe. Ingo M. konnte diesen Vorwurf nicht ausräumen und bestätigte schließlich, dass er die Prüfinstanz der NEON-Dokumentation getäuscht und das Gespräch nicht wie von ihm vorgelegt stattgefunden hat."
Ingo M. war verantwortlich für Popmusik und soll gut vernetzt sein in seinem Bereich. Zu der Verleihung des MTV Music Awards war die Sängerin Beyoncé in Berlin, M. flog hin, um ein Interview zu führen. "Er kam zurück und sagte: War gut. Wir hatten keinen Grund zu zweifeln", sagte Neon-Chefredakteur Timm Klotzek. In Wirklichkeit hatte kein Interview stattgefunden, Teile des Textes, der in der Januarausgabe von Neon erschien, waren ausgedacht, Teile stammten wohl aus älteren Interviews, die M. mit der Sängerin geführt hatte. "Alles in Butter" stand über dem Gespräch, Knowles sagt darin: "Butter ist in meinem Leben nicht unbedingt von zentraler Bedeutung." Die Frage des Managements der Sängerin, ob es sein könne, dass mit dem Text möglicherweise etwas nicht stimme, kam am Montag. Seitdem prüfte die Neon-Chefredaktion jeden von M.s Artikeln. Auch der Autor selbst gab Hinweise. Gespräche mit Künstlern wie Christina Aguilera, Slash, Snoop Doggy Dogg und Jay-Z hatte es teilweise nicht gegeben, teilweise nicht so wie abgedruckt. "Das ist unentschuldbar", sagte Klotzek.
Die Zeile des Tages in den Medienblogs: "Kummer bei Neon". Chefredakteur Timm Klotzek versuchte, das Wort "Kummer" zu vermeiden. Zu sehr erinnert der Fall M. an den des Journalisten Tom Kummer. Der freie Autor hatte jahrelang für das SZ-Magazin aus Hollywood berichtet und Gespräche mit Schauspielern wie Demi Moore oder Brad Pitt erfunden. Damals verloren auch die beiden Chefredakteure des SZ-Magazins ihren Job. Kummer verteidigte anschließend seine Fälschungen als Konzept, zuletzt in einem Interview in dem Buch "Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung".
Ingo M., unter Kollegen als schlagfertig, locker und witzig bekannt, sagt bisher nichts zu seinen Beweggründen. Auch die Neon-Redaktion will nicht öffentlich spekulieren. Druck? "Wir haben ihn auch gefragt: Was hast du denn gedacht, was passiert, wenn du aus Berlin anrufst und sagst, das Interview hat nicht geklappt?", sagt Klotzek. Von der Echtheit von M.s Reportagen sind sie überzeugt, dafür gebe es hinreichend Belege. So war er etwa wirklich in Kopenhagen, auf der Party zu Snoop Doggs neuem Album. "Hier soll es, endlich, zum Gespräch mit ihm kommen, und Interviews mit dem größten Gangster-Rapper der Welt sind so begehrt wie selten", schreibt M. zur Einleitung des gefälschten Interviews. "Doch wer es bis zu der Party schafft, auf der Snoop Dogg sein neues Album ,Tha Blue Carpet Treatment' präsentiert, der schafft so gut wie alles."
Update, 17. März 2015: Der Name des früheren Neon-Redakteurs, bislang in voller Länge im Artikel, ist auf dessen Wunsch hin abgekürzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch