Erfundene Identität: Das Gesicht eines anderen
Fotografen und das Netz feiern den Kriegsfotografen Eduardo Martins. Dann verschwindet er. Es stellt sich heraus: Martins hat nie existiert.
Wenig später titelte Costa Netto in seiner Kolumne auf einem Surferportal „Edu Martins ist tot“. Er selbst, eine Geliebte in Rio de Janeiro und viele Journalisten sowie große Medien weltweit seien auf den ebenso schamlosen wie genialen Betrüger hereingefallen. Keine Fake News, sondern eine komplette Fake-Geschichte, mit gefälschten Kriegsfotos aus Syrien, erfundenen Surfkursen für Kids im Gazastreifen und über 120.000 realen Fans auf Instagram. Inzwischen sucht die Polizei „Edu“ wegen Internetkriminalität.
Als Erstes schöpfte die BBC Verdacht. Der britische Sender hatte im Juli Fotos und Videos von Martins samt einem Interview mit dem Kriegsfotografen auf seiner Webseite veröffentlicht. Dass er nur per WhatsApp, aus Sicherheitsgründen aber nicht per Telefon kommunizieren wollte, wurde akzeptiert. Doch eine freie Mitarbeiterin des Senders fand seine Vor-Ort-Berichte aus dem Kriegsgebiet widersprüchlich. Im Irak stellten Kolleginnen und Kollegen bald fest, dass niemand Martins je persönlich getroffen hatte. Verwunderlich, zumal Martins in brasilianischen Magazinen und auch im Wall Street Journal, bei Al-Dschasira und in der Deutschen Welle Reportagen mit hautnahen Beschreibungen der Kriegsgräuel veröffentlichte.
Recherchen brachten immer mehr Widersprüche ans Tageslicht, berichtete die BBC später. Einen von Martins vorgegebenen Auftrag von Netflix hat es nach Angaben des Streaming-Anbieters nie gegeben. Auch die Existenz des Fotografen @shadikadar, dessen Tod bei einem Bombenangriff im Gazastreifen von Martins wortreich bedauert wurde, konnte später niemand bestätigen. Die BBC nahm schließlich Kontakt mit Costa Netto auf, der gerade eine Fotoausstellung von brasilianischen Reportern in Kriegsgebieten organisieren wollte. Der machte sich Sorgen, ob Martins vom „Islamischen Staat“ entführt worden sei, da er sich seit Tagen nicht mehr meldete.
Ein ganzes Leben
Sogar die UNO fiel auf den Fake-Fotografen herein. Angeblich arbeitete Martins auch für das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und machte in dessen Auftrag Fotos. Doch nirgends gab es darüber offizielle Dokumente, räumte ein UN-Sprecher ein und versprach Nachforschungen. Die Indizien für die Nichtexistenz von Eduardo Martins wurden immer deutlicher. Die BBC machte sogar fünf Geliebte des attraktiven Mannes Ende 20 aus, die sich aber alle mit einer rein digitalen Beziehung zufrieden gegeben und ihn nie persönlich zu Gesicht bekommen hatten.
Martins erfundener Lebenslauf war Teil seiner Erfolgsgeschichte: Mit 25 Jahren bezwang er nach sieben langen Jahren eine schwere Krebserkrankung. Seitdem war er auf der Suche nach einem neuen Sinn für sein Leben. Er bot sich an, als Freiwilliger mit Flüchtlingen zu arbeiten, zumeist in Nahost, aber einige Bilder zeigten ihn auch mit aidskranken Kindern in Afrika. Er wollte die Welt wachrütteln und mit drastischen Fotos auf Unterdrückung und Kriegsverbrechen hinweisen. Seine Geburtsstadt São Paulo hatte er gegen eine Kleinstadt im Gazastreifen eingetauscht, wo er sich von den Strapazen erholte. Dort brachte er jugendlichen Palästinensern sein liebstes Hobby, das Surfen, bei.
Zehntausende Fans kennen diese mitreißende Geschichte, die seit Anfang 2016 in den Netzen kursiert und in seriösen Medien weltweit publiziert wurde.
Der englische Surfer Max Hepworth-Povey gehörte nicht zu diesen Fans. Umso mehr staunte er, als er feststellte, dass es sein Gesicht war, das den Instagram-Account von Martins schmückte. „Zuerst dachte ich, es sei ein schlechter Scherz. Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn jemand ganz anderes Bilder von dir als seine eigenen im Internet ausgibt“, sagte Hepworth-Povey.
Zweifellos war Martins in digitaler Bildbearbeitung versiert. Der brasilianische Fotograf Ignácio Aronovich stellte fest, dass viele von Martins’ Bildern einfach nur gespiegelt waren. Bei einer Netzrecherche nach den zurückgespiegelten Bildern sei er auf diverse Originale gestoßen, unter anderem des US-Fotografen Daniel C. Britt, erklärte Aronovich im brasilianischen Newsportal Sputniknews. Vermutlich klaute Martins all seine Kriegs- und Flüchtlingsbilder von anderen Fotografen. Mittels kleiner digitaler Veränderungen gelang es ihm sogar, sie bei Agenturen wie Getty Images und Zuma Press zu verkaufen. Einige dieser Fotos schafften es bis ins Wall Street Journal und in die russische Iswestija.
Inzwischen hat Martins all seine Netzidentitäten gelöscht. Technisch kein einfaches Unterfangen – doch zumindest bei seiner Website handelte er sehr vorausschauend: Er hatte die Domain über einen Anbieter in Florida gekauft, der absolute Geheimhaltung garantiert. Die Suche nach Eduardo Martins hat wohl gerade erst begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“