Erfolgsmodell Online-Lokaljournalismus: Blog mit Seeblick
Wie der Pionier "Heddesheimblog" verdient auch die "Tegernseer Stimme" Geld mit hyperlokalem Onlinejournalismus. Die Macher vermarkten nun ihr Know-how.
Peter Posztos hat etwas geschafft, an dem viele Medienmacher verzweifeln: Er verdient Geld mit hyperlokalem Onlinejournalismus. Mit seinem seit April 2010 bestehenden Informationsangebot tegernseerstimme.de erwirtschaftet er nach eigenen Angaben etwa 10.000 Euro Umsatz pro Monat. "Die Zahlen sind zwar noch nicht stabil", sagt Posztos, "aber seit drei Monaten kann ich nicht nur meine Mitarbeiter bezahlen, sondern auch selbst von der Arbeit leben."
Für ein lokal begrenztes Angebot wie die "Tegernseer Stimme" ist das ein Erfolg: Die Webseite berichtet ausschließlich aus den fünf Gemeinden rund um den südlich von München gelegenen Tegernsee, rund 20.000 Menschen leben dort, etwa 1.500 Leser verzeichnet die "Tegernseer Stimme" täglich. "Die Zahlen steigen langsam, aber stetig", so Posztos. "Und die Reaktionen sind gut, die Leser schicken uns immer öfter auch Ideen für Themen zu." Mittlerweile sind in benachbarten Gemeinden drei Ableger des Angebots entstanden.
Gegründet hat Posztos die Webseite aus Unzufriedenheit mit der Tegernseer Zeitung, der einzigen Lokalzeitung der Region. "Anfangs war das nur ein Testlauf, ob so etwas bei uns funktionieren kann", so Posztos. "Aber dann hat sich das Ganze verselbstständigt." Aktuell tragen etwa zehn freie Mitarbeiter zu dem Angebot bei, je nach Auftragslage verdienen sie zwischen 300 und 1.000 Euro monatlich.
Einnahmen erzielt Posztos durch Werbung, die lokale Unternehmen auf der Webseite, der Facebook-Seite oder dem unregelmäßig erscheinenden Printmagazin der "Tegernseer Stimme" schalten. Bei seinen Werbepartnern muss Posztos derzeit noch viel Überzeugungsarbeit leisten. "Viele vertrauen immer noch eher einem Magazin als Werbeträger als einer Webseite", sagt er.
Umstrittenes Potenzial
Seit kurzem vermarktet der studierte Betriebswirt sein Konzept auch: Zusammen mit dem Journalisten Hardy Prothmann, der ebenfalls profitabel das Heddesheimblog und dessen Ableger in der Rhein-Neckar-Region betreibt, hat er vor wenigen Wochen die "istlokal Medienservice UG" gegründet. Künftig sollen Blogbetreiber gegen einen monatlichen Abopreis die Technik und deren Betreuung für ihr Lokalblog einkaufen können. Auch journalistische, wirtschaftliche und rechtliche Beratungsangebote sind geplant.
Den Vorwurf, die Unerfahrenheit neuer Betreiber finanziell auszunutzen, weisen die Geschäftspartner zurück. "Wer unser Produkt kauft, spart sich die Startschwierigkeiten, die wir hinter uns haben", sagt Hardy Prothmann. Das sieht auch Posztos so: "Wir haben viel experimentiert und Erfahrungen gesammelt, die übertragbar sind. Wir leisten da Entwicklungsarbeit."
Das Potenzial sublokaler Webseiten, die aus kleinsten geografischen Regionen berichten, ist umstritten: Etablierte Medien blicken skeptisch auf die lokale Konkurrenz, die Webseiten gelten oft als ambitionierte, aber unbedeutende Amateurprojekte ohne Aussicht auf journalistischen oder finanziellen Erfolg.
Fachleute sehen in den Angeboten hingegen die Chance zur Demokratisierung des Medienbetriebs und ein neues Betätigungsfeld für freie Journalisten. Auch Martin Welker, Journalistikprofessor an der Uni Leipzig, betont die Chancen: "Das ist ein ganz wichtiges Zukunftsfeld, das wir auf jeden Fall beobachten müssen. Leute wie Prothmann und Posztos sind da Vorreiter."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl