Erfolgreiche Bildung: Jungen holen wieder auf

Die neue Kess-Studie vergleicht Lernerfolge der vergangenen zehn Jahre. Die Abiturientenzahl hat sich dabei um 50 Prozent erhöht, und das ohne Niveauverlust.

Nicht nur körperlich, auch kognitiv haben Jungs andere Entwickungsverläufe als Mädchen, vermuten Forscher. Bild: dpa

Hamburg kommt der jüngsten Forderung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nach Steigerung der Abiturientenquote bereits nach. In nur zehn Jahren stieg diese von 34 auf 50 Prozent.

Die noch bessere Nachricht: Dies geschah nicht auf Kosten des Niveaus. Das versicherte Ex-Staatsrat Ulrich Vieluf am Freitag, als er mit "Kess 10" den vierten Teil einer Längsschnittstudie "Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern" vorstellte.

Für die Studie hat die Abteilung für Qualitätssicherung des Instituts für Lehrerbildung (LIQ) im Juni und September 2009 rund 13.000 Schüler der 10. und 11. Klassen getestet. Hamburg verfügt als einziges Bundesland über zwei vergleichende Studien.

Neben der Kess-Studie, die 2003 zunächst mit Viertklässlern begann und seither im Zwei-Jahres-Rhythmus fortgesetzt wird, gibt es die sieben Jahre ältere Lernausgangslagen-Studie (LAU), die von 1996 bis 2005 Werte erhob.

Es habe zwischen LAU und Kess "keine Verschiebung nach unten gegeben", sagte Vieluf, der als ehemaliger LIQ-Chef die Studie präsentierte. Doch in dem Konvolut von Daten ist neben Licht auch Schatten.

Trendwende bei Jungs

In den 7. und 8. Klassen hatten stets die Mädchen die höheren Lernzuwächse verbucht. Bei Kess 10 sind die Unterschiede gering. An den Gymnasien haben Jungen in allen Kompetenzbereichen sogar etwas höhere Lernzuwächse als Mädchen.

Vieluf sprach von einer "Trendwende". Möglicherweise hätten Jungs nicht nur körperlich, sondern auch kognitiv andere Entwicklungsverläufe als Mädchen. Dies habe Folgen für die Entwicklung eines "geschlechtersensiblen Unterrichts".

Spitze in Englisch

Allerdings gibt es weiter die klassische Aufteilung, nach der Mädchen im Bereich Sprache und Jungs bei Mathematik und Naturwissenschaften glänzen.

Positiv über alle Schulformen hinweg sind die Fortschritte im Englisch-Unterricht. Es zahlt sich aus, dass Hamburg Englisch in der Grundschule einführte. Gegenüber dem LAU-Jahrgang haben die Kess-Schüler hier einen Vorsprung von anderthalb Jahren.

Alarmstufe Rot

Kess 10/11 untersuchte auch die Lernfortschritte in Lesen, Rechtschreibung, Mathematik und Naturwissenschaften. Während die Zuwächse des Gelernten insgesamt beachtlich waren, sieht es in den Naturwissenschaften nicht gut aus. Vieluf sprach von "Alarmstufe Rot".

An den Real- und Gesamtschulen hätten 50 Prozent der Zehntklässler weniger gewusst als die durchschnittlichen Achtklässler bei Kess 8. An den Gymnasien gebe es zwar eine "exzellente Leistungsspitze", doch auch hier bleiben neun Prozent auf dem Achtklässlerstand.

Fächer sind zersplittert

Vieluf sieht die Ursache auch in der Zersplittung der Fächer. Anders als im Ausland gibt es nicht ein Fach für "Science", sondern Physik, Biologie und Chemie. Schulen müssten verhindern, dass hier eine "Fragmentierung des Wissens" entsteht.

Mit der Öffnung der Wege zum Abitur hat sich die soziale Zusammensetzung der Schulen stark verändert. An Gesamtschulen, die ihren Abiturientenanteil gar verdoppelten, hat sich auch der Anteil der Schüler nichtdeutscher Muttersprache in der Oberstufe von 23 auf 40 Prozent erhöht, der Anteil von Kinder aus bildungsfernen Haushalten gar auf 47 Prozent. Da ist es schon beachtlich, dass es in den Leistungen große Überschneidungen mit dem Gymnasium gibt.

Etwa 46 Prozent der Jugendlichen, die auf der dreijährigen Oberstufe sind, könnten es von ihren Basiskompetenzen her auch auf der dortigen zweijährigen Oberstufe schaffen. Umgekehrt wäre für etwa 700 Elftklässler der Gymnasien das 13-jährige Abitur laut Vieluf der bessere Weg.

Zu viele Abbrecher

Vieluf hat aber an den Oberstufen der heutigen Stadtteilschulen eine Gruppe mit großen Rückständen identifiziert, bei der das Erreichen des Abiturs "fraglich" scheine. In Folge seien die Abbrecherquoten zu hoch.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) sieht hier Handlungsbedarf. Man brauche "klarere Standards", was Oberstufenschüler können müssen, sagte er. Für manchen wäre sinnvoller, das Abitur im Rahmen einer Berufsausbildung nachzuholen.

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