Erfolglose deutsche Schwimmer: Perfekt gelaufen - für die anderen

Bei der EM 2006 in Budapest waren die deutschen Schwimmer obenauf. Bei den Wettbewerben in Peking aber wirken sie hoffnungslos überfordert.

Örjan Madsen bei seinem Team. Bild: ap

PEKING taz Örjan Madsen schwärmte. Der Chefttrainer des Deutschen Schwimmverbandes war gerade Zeuge eines historischen Staffelrennens geworden. Geschichte geschrieben hat die 4x100 Meter-Freistil-Staffel der USA mit Startschwimmer Michael Phelps. Dabei ist die neue Weltrekorzeit von 3:08,24 Minuten, beinahe vier Sekunden unter der alten Bestzeit, nur ein Teil der Geschichte. Bei der letzten Wende lag US-Schlussschwimmer Jason Lezak noch eine halbe Länge hinter Frankreichs Alain Bernard, bis zu diesem Tag der Weltrekordhalter über diese Distanz. Er überholte ihn noch, schlug nach unfassbar schnellen 46,06 Sekunden an – acht Hundertstel vor dem Franzosen. „Perfekt“ sei das Rennen gelaufen für die Amerikaner, sagte der Bundestrainer - für alle vier Siegschwimmer. Auch seinen Athleten, fügte er an, sei schon einmal ein derart perfektes Rennen gelungen. Der Norweger spielte auf das Rennen der deutschen 4x100 Meter-Kraulstaffel der Frauen bei der EM 2006 in Budapest an. Die schwamm seinerzeit Weltrekord. Zwei Jahre ist es her. Der Schwimmsport in Deutschland war kurzzeitig obenauf. Jetzt liegt er darnieder – wieder mal.

„Weltklasse 2008“ nannte der DSV das Programm, mit dem die deutschen Wassersportler unter der Leitung von Madsen ganz nach vorne schwimmen sollten. Schon nach den ersten drei Wettkampftagen im olympischen Schwimmbecken von Peking steht fest: es ist kläglich gescheitert. Zweieinhalb Jahre hat sich Madsen vergeblich bemüht die Schwimmer flott zu bekommen. Er war angetreten, das ewig gleiche Problem auch seiner Vorgänger zu lösen. Madsen kündigte gleich zu Beginn seiner Amtszeit an, den persönlichen Trainern die Stoppuhren aus der Hand zu nehmen und ihnen über die Schulter in ihre Zeitlisten zu schauen. Als Problem des Schwimmsports hierzulande hatte er die Eigenbrötelei der einzelnen Schwimmer und ihrer Trainer ausgemacht. Die Analyse war nicht neu. Der Ton, den der Neue anschlug schon. Nicht wenige waren überzeugt, dass der asketische Leitungsfanatiker dem so genannten Heimntrainern schon werde Mores lehren können. Denkste. Gestern zog Madsen ein erstes Fazit seiner Amtszeit, die nach den Spielen enden wird.

Seine Idee, die besten deutschen Schwimmer regelmäßig zu den ganz großen Wettbewerben zu schicken, hat sich nicht durchsetzen lassen bei den Betreuern der deutschen Schwimmelite. Etliche Kaderathleten verzichteten in diesem Jahr auf einen Start bei den Europameisterschaften in Eindhoven. Sie zogen der internationalen Herausforderung einen Start bei den nationalen Titelkämpfen vor. Jetzt machen sie bei den olympischen Spielen einen hoffnungslos überforderten Eindruck. Der Frankfurter Helge Meeuw, der mit seiner Europarekordzeit von 53,10 Sekunden über 100 Meter Rücken, die er bei der nationalen Olympiaqualifikation aufgestellt hat, als Medaillenkandidat nach Peking reiste, konnte sich seine Zeit (54,88 Sekunden) und sein Auscheiden nach dem Vorlauf ebenso wenig erklären wie Sarah Poewe, die mit ihrer, ebenfalls in diesem Jahr geschwommenen Zeit von über 1:07,10 Minuten über 100 Meter Brust, als Zweitbeste ins Olympiafinale eingezogen wäre. Doch ihre 1:08,69 reichten nicht mal fürs Halbfinale.

„Da gibt es sicherlich noch einiges zu klären“, sagte Antje Buschschulte dazu. Die schied gestern im Semifinale über 100 Meter Rücken aus. Sie präsentierte sich heillos überfordert von der Situation im deutschen Schwimmlager. Mit ihrer Vorlaufzeit vom Tag zuvor war sie noch zufrieden. Da ist sie so schnell geschwommen, wie sie kann. Gestern nun war sie eine Sekunde langsamer. „Was soll ich machen?“, fragte die 29-Jährige, die die größte Olympiaerfahrung im Team hat. „Ich bin nicht in der Lage, zwei Leute zu trösten und dann auch noch ruhig in den Schlaf zu finden.“ Außerdem sei ihr Heimtrainer nicht dabei, „bei dem ich mich vielleicht einmal anlehnen könnte“. Ihre Schwimmwelt ist eine ganz kleine. Vor der ganz großen hat sie sich schon im letzten Jahr verabschiedet. Lange, so erzählt sie, hat sie überlegt, ob sie nach ihrer Schulteroperation noch einmal ins Leistungstraining einsteigen soll. Sie hat sich für eine Fortsetzung ihrer Karriere entschieden, ihrem Körper abverlangt, so viel der eben vertragen hat, und doch immer gewusst, dass die Weltspitze für sie, die in Athen noch drei Mal Bronze gewonnen hatte, nicht mehr erreichbar ist. Antje Buschschulte hat sich schon vor Olympia mit der Rolle als Underdog in der Schwimmwelt abgefunden.

Ein Außenseiter will Paul Biedermann nicht sein. Er sucht den Kontakt mit der Konkurrenz. „Ich will mich stellen“, sagte er, nachdem er das Finale über 200 Meter Freistil erreicht hatte. Wie anders hörte er sich doch an als die ratlosen Hinterherschwimmer wie Meeuw („Ich kann's mir nicht erklären. Ich kann's nicht glauben.“). Gut habe er sich gefühlt, Spaß habe er beim Schwimmen gehabt. „Ich habe keine Probleme damit, mich mit den Besten zu messen“, sagte er. Für das Finale hatte er sich vorgenommen, seinen eigenen deutschen Rekord anzugreifen. Von den unfassbaren Weltbestzeiten, die beinahe in jedem Finalrennen im Pekinger Wasserwürfel aufgestellt werden, ist er dennoch ganz weit entfernt. Doch der 21-Jährige macht den Eindruck, dass er genau da hin will.

Wie all die Fabelzeiten zustande kommen? Der Bundestrainer gibt sich ahnungslos. Auch seine Schwimmer sind ratlos. Wenn diese allerdings im Mannschaftskreis den Verdacht äußern, in der Weltelite könne es unter Umständen nicht nur mit rechten Dingen zugehen, so berichtet Madsen, dann widerspreche er energisch und sage, jeder solle auf sich, auf seine eigene Leistung achten und darauf, dass er selber sauber bleibt. Er sei sich sicher, dass die Weltspitze nicht gedopt ist, sagt er. Er hat sich den Glauben an das perfekte Rennen im Schwimmbassin bewahrt. Seine Athleten werden ihm keines mehr bescheren. Er scheint sich damit abgefunden zu haben.

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