Erfahrungen mit BDSM-Sex: What’s Sub?
Frisch geschieden testet unsere Autorin ihre Eignung für BDSM-Sex und fragt sich: Kann Unterwerfung auf Augenhöhe überhaupt funktionieren?
Verschiedene Peitschen und Reitgerten hängen sauber aufgereiht an der dunkelgrau gestrichenen Kellerwand. Chrombeschichtet funkeln Handschellen und Sexspielzeuge in allen möglichen Durchmessern, Längen und Formen auf der Hochglanzkommode. Ein mit schwarzem Leder bezogener Bock steht in der Ecke, an der Decke baumeln Stricke und zwei Seilzüge von diversen Haken. Von einer Schwarz-Weiß-Fotografie blickt eine nackte Frau im Fersensitz zu mir herab. Wie bin ich nur hierhergekommen – und wo führt das hin?
Ende 40, Burnout, Reha-Klinik, raus aus der 20-jährigen Ehe, unsere zwei Teenager blieben im Haus beim Vater um die Ecke. Es klingt leichter, als es sich schmerzensreich abspielte. Aber ich hatte nach langer Zeit plötzlich sturmfrei – und auf einmal war sie wieder da: die Glut.
Wie 8,9 Millionen weitere Deutsche lande ich auf einem Datingportal, das auf sexuelle Treffen spezialisiert ist. Denn ich weiß, was mir definitiv nicht fehlt: ein Partner. Hemmungsloser Sex hingegen schon. Davon sollen allerdings weder meine Kinder noch Freunde oder Arbeitskollegen erfahren, deshalb erscheint dieser Text unter Pseudonym.
In meinem Online-Profil kreuze ich „Neugierde auf BDSM“ an, kurz für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Mit Unterwerfung im Sex war ich mit Mitte 20 erstmals in Berührung gekommen, während einer Affäre mit einem zehn Jahre älteren Mann, der ein paar Peitschen und Handschellen unter seinem Futonbett verborgen hatte. Wir sahen uns gemeinsam BDSM-Pornos auf VHS-Kassetten an und probierten Fesseln aus, lange vor „Fifty Shades of Grey“.
Von Dominas und Topmanagern
Damals kannte ich den Begriff „Domina“, und in Zeitschriften wie Stern und Spiegel wurde gemunkelt, dass es Topmanager gebe, die derartigen lederbekleideten Frauen die Stiefel leckten, sich peitschen und rumkommandieren ließen und das alles erregend fanden. Endlich mussten sie einmal nicht bestimmen, wo’s langgeht. Dass es als männliches Gegenstück den „Dom“ gab, war mir nicht geläufig, aber das Spiel der Unterwerfung faszinierte mich und trieb meine Fantasie an. Auch mit meinem Mann hatte es in den ersten Jahren hin und wieder Spielereien mit Fesseln und Peitschen gegeben, aber das verlief sich irgendwann zwischen Kindern, Arbeit und einem von Logistik bestimmtem Alltag.
Und dann schreibt mich Shido auf dem Dating-Portal an. „Hey, ich bin dominant und suche eine Gespielin, gerne auch Anfängerin in BDSM. Was denkst du?“ Shido ist 47, Informatiker, 1,90 groß, muskulös mit Bauchansatz. Wir treffen uns auf einen Spaziergang und auf Augenhöhe. Unsere Unterhaltung macht Lust auf mehr, er ist sympathisch und belesen – und ein Dom mit eigenem Spielkeller, der eine „Sub“, eine Art Sklavin will. Ein Profi. Er hat eine feste devote Partnerin, die laut Shido toleriert, dass er nach weiteren Spielgefährtinnen sucht. Ich beschließe, mich auf dieses Spiel einzulassen. Als Sicherheitsnetz dient mir eine Vertraute aus dem Sexportal, die über Ort und Zeit unserer Verabredungen Bescheid weiß.
In den folgenden Wochen taumele ich regelmäßig sexuell befriedigt und geistig ausgebrannt aus Shidos Keller nach Hause. Ich genieße, wie er mich körperlich dominiert, unterwirft, festhält, sein Spielzeug an mir verwendet und sich mir multipel aufzwingt. Endlich mal die Kontrolle abgeben, die Mental Load fallen lassen, also all die hundert kleinen Dinge vom Turnbeutel bis zum Kopiergeld, an die ich im Alltag denken muss. Wie diese Manager aus den 90ern. Aber besonders genieße ich es, mich engagiert zu wehren und gleichzeitig zu wissen, dass ich keine Chance gegen Shido habe.
Er nennt mich „brat“, englisch für Göre
Das gefällt Shido jedoch überhaupt nicht. Er nennt mich „brat“, englisch für Göre, im BDSM-Bereich eine Spielpartnerin, die sich nicht unterwerfen will. Was mich anmacht, nervt ihn: „Es ist anstrengend, jedes Mal die Machtverhältnisse zu klären.“ Eine Sub habe einzig dafür zu sorgen, dass es ihm, dem Herrn, gut gehe. Ihre eigenen Bedürfnisse dürfe sie zwar formulieren, aber ob sie auch erfüllt würden, sei allein die Entscheidung des Doms. Was wiederum mich irritiert. Natürlich will ich, dass auch er sexuell zufrieden ist, doch wichtiger ist mir meine eigene Begierde. Aber passt das überhaupt mit BDSM zusammen?
Mein feministisches Bewusstsein hinterfragt mein Tun fassungslos, beugt sich aber der Vorfreude auf die sexuelle Befriedigung. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob Unterwerfung auf Augenhöhe funktioniert, aber dass es mich anmacht, hart angepackt zu werden, schon. Doch je länger wir uns treffen, desto mehr steigen Shidos Ansprüche. Er will mich exklusiv, um ohne Kondom Sex zu haben. Beidem erteile ich eine Absage. Kondome sind für mich Pflicht. Und so spannend und erregend der Sex mit ihm ist – dass er der Einzige für mich sein soll, während er sich munter austobt, kommt nicht in Frage.
Beim Crémant, den wir vor und nach unseren Begegnungen trinken, erklärt er mir, was er von einer Sub erwartet: in der Früh einen „lieben Morgengruß“, abends eine „Gute-Nacht-Message mit Foto“ per Kik, der anonymen App, in der wir kommunizieren. Tagsüber will er mir nach Belieben Aufgaben stellen, die sofort zu erfüllen sind, zum Beispiel: im Büro den Slip ausziehen und ein Beweisfoto senden. Nicht sein Ernst! Außerhalb seines Kellers finde ich es überhaupt nicht erregend, von einem Mann Befehle entgegenzunehmen – im Gegenteil. Als ich meiner Vertrauten aus dem Sexportal, ebenfalls eine berufstätige Mutter, davon erzähle, spottet sie: „Als ob wir für solche Albernheiten Zeit hätten! Die Doms haben doch alle einen Schatten.“
Noch eine letzte BDSM-Session
Nach drei Monaten will Shido nicht mehr. Ich bin ihm zu ungezogen, zu egoistisch, zu wehleidig. „Der Gedanke, dich wieder zu treffen, weckt keine Vorfreude mehr in mir“, erklärt er. „Du bist nicht das, was ich suche.“ Ich bin nicht verliebt und deshalb nicht traurig, aber ich bitte ihn zum Abschluss unserer Beziehung um eine letzte BDSM-Session. So, wie er sich das vorstellt. Ich würde mich fügen, nicht physisch wehren, keine Anweisungen geben. Unbedingt will ich diese Erfahrung als „echte“ Sub machen.
Der Vorschlag gefällt Shido. Vorab soll ich eine Liste mit „Gos“ ankreuzen, also Handlungen, denen ich zustimme. Was ich nicht auswähle, würde er unterlassen. Einige der Begriffe muss ich googeln. „Gagging“: Ballknebel. Besser nicht, ich habe ohnehin Kieferprobleme. „Trampling“: doch nicht wirklich …? Tatsächlich, dabei steigt der Dom auf den Körper der Sub, barfuß oder mit beliebig schmerzhaftem schmutzigem Schuhwerk. Mir wird bei der Sache unwohl. „TPX“: Total Power Exchange, das bedeutet Unterwerfung 24/7, sich als Sklavin komplett in allen Lebenslagen dem dominanten Part zu übergeben. Dazu würde es ohnehin nicht kommen.
Schließlich kreuze ich einige mir verkraftbar erscheinende Praktiken an, etwa „Whipping“ für Peitschen, „Caning“ für Rohrstock, „Bondage“, das Anlegen von Fesseln, und „Waxplay“ für Kerzenwachs. Bei der Frage, wie lange die Spuren der Session sichtbar bleiben dürfen, wähle ich „maximal 24 Stunden“. Ich will in dieser Woche noch in die Sauna. Aufgeregt erwarte ich weitere Anweisungen. „Du kommst um 14 Uhr rasiert, mit Highheels und dunkelrot lackierten Nägeln in den Souterrain-Vorraum, entkleidest dich und wartest, bis ich dich hole“, fordert Shido. Die Klischeehaftigkeit seines Befehls stößt mir übel auf, aber ich habe schließlich versprochen, wenigstens ein Mal folgsam zu sein.
Mein Safeword lautet „Mayday“,
Um 13.59 Uhr betrete ich nervös den Keller und warte, bis Shido mich ruft. Er sitzt auf einer Art Thron, im schwarzseidenen Morgenrock mit einer Reitgerte in beiden Händen. Kerzen flackern auf Messingkandelabern zu seinen Seiten. Zum Glück hat er sich nicht in einen Latex-Anzug gepresst, mein Lachflash hätte die Stimmung sicher zerstört. Shido sieht mich ernst an, ich schlucke. Das Machtgefälle ist greifbar. Er nennt mir als Safeword „Mayday“, damit könnte ich die Spielsession sofort beenden. „Nein! Stop! Nicht!“, würden nicht zählen.
Im Folgenden übt der Dom an mir ein lust- und qualvolles Wechselspiel aus, welches ich mal artig, mal um Gnade bettelnd, dann wiederum höchst erregt und mitunter leicht schockiert ertrage und ehrlicherweise überwiegend genieße. Als ich nach einem grandiosen Orgasmus, noch immer nackt auf einem Tisch festgebunden, langsam zurück zur Besinnung finde, erwischt mich glühender Schmerz auf meinem Brustkorb. Shido hat abschließend heißes Wachs über mir ausgeschüttet. Er nimmt mir die Augenbinde ab und grinst mich an. „Wie schön, dass du Waxplay angekreuzt hattest.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Das erinnert mich an die Go/No-Go-Liste, die er während der vergangenen zwei Stunden akkurat an mir abgearbeitet hat. Fast. „Du hast den Rohrstock nicht eingesetzt“, bemängele ich, nun wieder die ungeliebte „brat“. Shido seufzt, hilft mir auf und bindet mich stehend mit den Händen an der Decke fest. Er streicht mir über den Rücken und holt aus. Der Knall des Rohrstocks, der hinter mir auf den Boden schlägt, lässt mich aufschreien: „Nein, nicht, bitte nicht! Mayday!“ Shido schaut mich prüfend an: „Du musst dich reinhängen, hier oben, in den Schmerz reinfallen lassen.“ Er rüttelt an meinen Fesseln. Und macht mich seufzend los: „Also eins kann ich dir sagen: Als Sklavin bist du ungeeignet.“ Ich nicke. Erleichtert, der Situation entkommen zu sein. Enttäuscht, weil ich die vergangenen zwei Stunden der BDSM-Session mit ihm durchaus genossen habe.
Er sucht die absolute Kontrolle
In die Sauna kann ich zwei Tage später tatsächlich gehen. Es sind keine Striemen oder blaue Flecken zu entdecken, abgesehen von zwei versehentlich zugefügten oberflächlichen Mini-Schnitten des Rasiermessers, mit dem er mir behutsam das Kerzenwachs entfernt hat.
Shido und ich treffen uns nicht mehr. Er sucht eine Frau, die sich ihm komplett als Sklavin übergibt. Die absolute Kontrolle über sich wünscht und das Wohl ihres Herrn nach oben stellt. Die stolz die Spuren seiner Behandlung trägt. Das bin ich nicht, das macht mir keinen Spaß. An die Session denke ich trotzdem gern zurück als eine „Once in a Lifetime“-Experience.
Vielleicht habe ich deshalb meine BDSM-Erfahrung bisher nicht weiter vertieft. Ich überlege nun, ob ich mal einen jungen Mann treffen soll. Im Portal erhalte ich oft Schreiben von unter 30-Jährigen, die sich eine erfahrene Frau wünschen. Noch zaudere ich, doch meine Neugierde wächst.
Neulich schrieb ich Shido nach vielen Monaten an und fragte ihn, ob er seine „SaS“ inzwischen gefunden habe. „SaS“, was ich damit meine, fragte er verwirrt. „Na, die Sub aller Subs.“ Seine Antwort war ein grimmig dreinblickender Emoji, der eine Peitsche schwang.
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