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Erdrutsch oder Überschwemmung?

■ Haiti nach der Wahl GASTKOMMENTAR

Lavalas — kreolisch Erdrutsch oder Überschwemmung — heißt der Slogan, mit dem der charismatische Kandidat der Linken, der junge Salesianerpriester Père Aristide, ohne den Segen des Papstes und der katholischen Kirche die Wahlen auf Haiti gewonnen hat. Mit Lavalas ist die Mobilisierung der Massen und die Besinnung auf die eigene Kraft gemeint — die Bewohner des ärmsten Landes Lateinamerikas haben es satt, immer nur als Bittsteller in der internationalen Arena aufzutreten. Daß auf Haiti nach 29 Jahren Diktatur und vierjährigem Chaos überhaupt demokratische Wahlen stattfanden, ist die erste Sensation: die gleichen Militärs, die diesmal Wahllokale und Kandidaten vor Brandanschlägen und Attentaten schützten, haben im November 1987 auf den Straßen von Port-au-Prince ein Massaker veranstaltet, in dem sie von Lastwagen aus die Wähler zusammenschossen — vor den Augen der Journalisten und Beobachter, zu denen auch ich gehörte. Daß die Wahlen diesmal friedlich verliefen, ist vor allem dem Druck der internationalen Öffentlichkeit zuzuschreiben — Jimmy Carter macht's möglich. Die zweite Sensation ist der Erdrutschsieg eines linken Christen, der aus seiner Abneigung gegen den großen Bruder in Washington und aus seiner Sympathie für Fidel Castro keinen Hehl macht, und das in einem Augenblick, da das sozialistische Kuba kurz vor dem Offenbarungseid steht: Auf Haiti gehen die Uhren anders.

Die Kandidaten der übrigen Parteien landeten weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen — allen voran (mit ca. 15 Prozent der Stimmen) der ehemalige Weltbankfunktionär Marc Bazin, den das State Department gerne im Präsidentenpalast gesehen hätte, gefolgt von den Duvalieristen um den Ex-Innenminister Roger Lafontant, der trotz seines Ausschlusses zur Wahl antrat und mit 7 Prozent im politischen Abseits endete. Das schlechte Abschneiden der Tontons Macoutes, die nicht nur über bewaffnete Killerkommandos, sondern auch über starke Seilschaften in Armee und Regierung verfügen, ist die dritte Sensation dieser Wahl.

Jetzt muß Père Aristide seinen Worten Taten folgen lassen. Der persönliche Mut und die politische Integrität des radikalen Befreiungstheologen, der mehrere Mordanschläge überlebt hat, stehen außer Zweifel. Aber sein im Wahlkampf gemachtes Versprechen, die ins Ausland geflossenen Gelder des Duvalier-Clans zurückzuholen, um damit dringende Entwicklungsvorhaben zu finanzieren, läßt sich nur schwer realisieren, und außer einer Umverteilung der Armut hat Père Aristide nicht viel anzubieten: Auch er kann keine Wunder vollbringen. Selbst wenn es ihm gelingt, die haitianischen Massen zu mobilisieren, könnte sein Projekt Lavalas sich als Erdrutsch erweisen, der seinen Auslöser unter sich begräbt. Père Aristide lebt gefährlich, wie sein afrikanisches Vorbild Thomas Sankara, der charismatische Führer von Burkina Faso, der einem Mordkomplott zum Opfer fiel. Hans Christoph Buch

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