Erdogan und die Medien: Präsident mit Putsch-Paranoia

Staatschef Tayyip Erdogan hat Angst vor einem Machtverlust. Kurz vor der Wahl versucht er, kritische Medien zum Schweigen zu bringen.

Erdogan mit Mikrofon und Sonnenbrille

Präsident Erdogan will den Medien zeigen, wo es lang geht. Foto: ap

ISTANBUL taz | Wie sieht die Zukunft der türkischen Medien aus? Auf diese Frage hat der bekannte Kolumnist und Rechtsanwalt Orhan Kemal Cengiz eine kurze und prägnante Antwort: „Falls die AKP die kommenden Parlamentswahlen am 7. Juni wieder mit einer absoluten Mehrheit gewinnt, wird es in kürzester Zeit keine unabhängigen Medien mehr geben.“

Als Beleg für seine These führt Cengiz zwei Ereignisse der letzten Woche an: das Vorgehen eines Staatsanwalts gegen verschiedene TV-Sender und eine Kampagne von Präsident Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu gegen die Zeitung Hürriyet. In beiden Fällen geht es darum, die Medien zum Schweigen zu bringen.

Der Staatsanwalt Serdar Coskun – Leiter des Büros, das Verstöße gegen die Verfassung ahnden soll – wandte sich mit einem Schreiben an das Ministerium für Transport und Kommunikation. Er forderte die Beamten auf, kritischen Fernsehsendern, die im Verdacht stehen, mit der islamischen Gülen-Bewegung zu sympathisieren – nach Auffassung des Staatsanwaltes einer „Terrororganisation“ – künftig die Benutzung der staatlichen Satellitenkommunikation zu verbieten. Da das in der Türkei die einzige technische Möglichkeit zur Programmausstrahlung ist, wären besagte TV-Stationen de facto mit Sendeverbot belegt.

Nicht ganz zufällig handelt es sich dabei um Sender, die sich bis heute trauen, Oppositionspolitiker einzuladen und Kritikern von AKP und Erdogan ein Forum bieten. Der staatlich kontrollierte öffentliche Fernsehsender TRT hingegen brachte in der letzten Woche 75 Stunden Regierungspropaganda gegenüber 17 Minuten für die Opposition, wie die kurdische Demokratische Volkspartei HDP recherchierte.

Eingebildeter Staatsstreich

Der Angriff auf die Zeitung Hürriyet und den Dogan-Konzern fand hingegen ohne technische Umwege statt. Als in Kairo das Todesurteil über den ehemaligen islamischen Präsidenten Mohammed Mursi verkündet wurde, titelte Hürriyet: „Die Welt ist schockiert. Todesurteil für einen Präsidenten, der mit 52 Prozent gewählt worden war.“

Was der durchschnittliche Leser für eine Kritik an dem Todesurteil über Mursi halten würde, ist für Erdogan und sein Umfeld ein sinistrer Versuch, nach Mursi nun auch den türkischen Staatschef durch einen Putsch zu stürzen. Erdogan nämlich wurde im letzten August ebenfalls mit 52 Prozent der abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt.

Dementsprechend machten Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu während ihrer Wahlkampfaufritte mächtig Stimmung gegen Hürriyet. Und zwei Tage später fand sich ein Anwalt, der mit dem Vorwurf, sie würden einen Staatsstreich initiieren, die Einleitung eines Verfahrens gegen Hürriyet-Chefredakteur Sedat Ergin und Herausgeber Izzet Dogan erzwingen will.

Der Vorgang spiegelt zum einen die Paranoia Erdogans, der seit dem Sturz Mursis, den seine AKP und er stark unterstützt hatten, davon überzeugt ist, auch er solle durch eine Verschwörung aus dem In- und Ausland gestürzt werden. Gleichzeitig zeigt er, mit welcher Bedenkenlosigkeit sich die AKP-Führung mittlerweile über alle demokratischen Regeln hinwegsetzt, um einen solchen Fantasiestaatsstreich zu verhindern. Kritiker sind in den Augen Erdogans schon längst keine demokratischen Opponenten mehr, sondern Agenten einer dubiosen feindlichen Macht, die man mit allen Mitteln ausschalten muss.

23 Journalisten verhaftet

Mehr noch als die Oppositionsparteien haben diese Haltung die türkischen Medien zu spüren bekommen. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden 23 Journalisten verhaftet. Erdogans Sprecher Mustafa Kalin rechtfertigte das vor wenigen Tagen in Washington erneut damit, dass sie in Wahrheit Terroristen seien. Die meisten der verhafteten Journalisten arbeiten bei Medien, die mit der islamischen Gülen-Bewegung zusammenhängen. Diese wird von Erdogan beschuldigt, ihn stürzen zu wollen.

Auch der Hürriyet unterstellen Erdogan und sein Umfeld, sie würde mit der Gülen-Sekte zusammenarbeiten. Doch dann setzte sich die Zeitung vor einigen Tagen öffentlich zur Wehr. In einem offenen Brief an Erdogan, den Verlag und Chefredaktion gemeinsam verantworteten und auf die Titelseite stellten, fragen sie den Staatspräsidenten ganz direkt: „Was wollen Sie von uns? Wollen Sie uns ins Exil treiben? Wollen Sie uns zu Fremden im eigenen Land machen?“

In einem Editorial griff die New York Times die Angriffe auf Hürriyet auf und warnte davor, dass die Pressefreiheit in der Türkei bald völlig der Vergangenheit angehören könnte. Erdogan reagierte persönlich – und beschimpfte den Kommentar als „ungehörig“. Es stehe einer ausländischen Zeitung nicht zu, sich in die türkische Innenpolitik einzumischen.

Am vergangenen Mittwoch machte der US-Journalist Stephen Kinzer außerdem publik, dass ihm der türkische Präsident die Ehrenbürgerschaft der Stadt Gaziantep verwehrt habe. Kinzer schrieb im Boston Globe, in einem Fax aus Erdogans Büro sei er als „Feind unserer Regierung und unseres Landes“ bezeichnet worden. Hintergrund: ein von ihm verfasster kritischer Bericht über Erdogan im Boston Globe. Anlass der geplanten Ehrung war Kinzers Berichterstattung in der New York Times über römische Mosaiken in Gaziantep.

Obwohl Hürriyet sich kämpferisch gibt und erklärte, sie werde ihre verfassungsmäßigen Rechte der freien Meinungsäußerung „ohne Angst“ verteidigen, stünden die Chancen schlecht, sollten Erdogan und Davutoglu die Wahlen gewinnen. Gewinnen bedeutet in diesem Fall eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament, die es Erdogan ermöglichen würde, aus dem jetzigen parlamentarischen System ein autoritatives Präsidialsystem zu machen.

Mangelnde Begeisterung der Bevölkerung

Neben der Tatsache, dass die „neuen Islamisten in ihrem zutiefst konspirativen Weltbild hinter jedem Stein ein Komplott vermuten“, wie Mustaf Akyol – ein liberaler Muslim, der selbst jahrelang ein Anhänger Erdogans war – schreibt, ist der Grund für die Repressionen gegen die Presse die mangelnde Begeisterung der Bevölkerung für Erdogans Präsidialsystem. Nach unabhängigen Umfragen wollen nur rund 32 Prozent der Bevölkerung einen Präsidenten Erdogan mit umfassenden Machtbefugnissen.

Um sein Ziel dennoch zu erreichen, darf es eben keine kritischen Stimmen mehr geben. Ginge es nach Erdogan, müssten alle Medien seine Propaganda unterstützen. „Niemals in der Geschichte der Türkei hat es einen solchen Druck auf die Medien gegeben“, schreibt Cafer Solgun, Kolumnist der Gülen-Zeitung Today’s Zaman, „selbst in den Phasen nicht, als Putschgeneräle an der Macht waren“.

Die Haltung von Erdogan und seiner Regierung gegenüber oppositionellen Medien offenbare eine eindeutig faschistische Mentalität. Der Anspruch ist totalitär. Widerspruch gegen das „Einmannsystem“, das der Präsident seinem Land oktroyieren will, soll es nicht mehr geben. „Die Wahl am 7. Juni ist die letzte Chance, eine solche Entwicklung zu verhindern“, meint Solgun, „das macht sie so historisch.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.