Erdoğan-Besuch in Berlin: Panzer-Kebap und Gitterkuchen
Cem Özdemir (Grüne) wird zum Staatsbankett mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan gehen. Das ist die richtige Entscheidung.
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Einer, der all diese, zugegeben imaginierten, Köstlichkeiten bald probieren darf, ist der ehemalige Fraktionschef der Grünen, Cem Özdemir. Unbeirrt von all den Absagen, die nun von der FDP, den Grünen und der AfD eintrudeln, will er gemeinsam mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und weiteren geladenen Gästen am Freitag an der Tafel von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) Platz nehmen.
Am Wochenende nutzte Özdemir seine trotzige Ansage für einen medienwirksamen Showdown-Effekt. Fast kann man sich vorstellen, wie sich Özdemir und Erdoğan mit breitbeinigem Gang und der Hand an der Waffe im Festsaal des Schloss Bellevue begegnen und grimmige Blicke austauschen, bevor sie sich niederbrüllen, während im Hintergrund leise die Musik aus dem Western „12 Uhr Mittags“ spielt.
Aber egal wie es abläuft: Dialog muss sein. Wenn jetzt sogar die AfD ihre Nichtanwesenheit bei diesem Staatsbankett genüsslich im Vorfeld zelebriert und den türkischen Staatspräsidenten für all die fehlenden Werte kritisiert, die sie auch nicht unbedingt an den Tag legen, dann ist das, was Cem Özdemir gerade öffentlich verkündet, schlicht: Punk. Nämlich hingehen, hinsetzen, sitzen bleiben, aushalten.
Von Nationalisten bedroht
Einen erratisch agierenden Politiker wie Erdoğan an den Tisch zu holen und mit ihm über die Außen- und Innenpolitik der Türkei zu reden, wo der doch schon längst das Tischtuch zerrissen hat, das ist jetzt die große Aufgabe der deutschen Regierung. Für diejenigen, die sich für die Opposition in der Türkei einsetzen, so wie Özdemir, geht es aber um mehr.
Sein großes Ding ist es, zu zeigen, dass man, auch wenn man unterschiedlicher Ansichten ist, an einem Tisch verweilen kann. Dieses Zeichen geht vor allem an die türkeistämmige Community im Ausland, die nicht zuletzt wegen der Armenien-Resolution des Bundestages, die der Grünen-Politiker im Sommer 2016 initiiert hatte, ihm nicht mehr ganz wohlgesonnen war. Als Politiker wurde er nicht selten von Nationalisten und Befürwortern der AKP-Regierung bedroht und muss sich deshalb weitestgehend mit Personenschutz in der Öffentlichkeit bewegen.
Es ist also schon schräg, dass ausgerechnet derjenige sich für die Aufnahme des deutsch-türkischen Dialogs einsetzt, der den meisten Dreck abbekommt, während sich alle anderen die Hasskappe aufsetzen und den leichtesten aller Wege gehen, nämlich den der Dialogverweigerung.
Das Gute: Wenn im Laufe der Woche weitere Absagen kommen, haben die verbleibenden Gäste wenigstens mehr Zeit zum Reden. Und viel mehr vom Essen. Afiyet olsun.
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