Erdbeben in der Türkei und in Syrien: Eine Katastrophe auch hierzulande
Zehntausende Hamburger*innen haben familiäre Wurzeln in der Türkei und in Syrien. Deshalb ist das Erdbeben auch ein Hamburger Thema.
![Viele Menschen stehen auf dem Rathausmarkt in Hamburg bei einer Gedenkveranstaltung zusammen. Viele Menschen stehen auf dem Rathausmarkt in Hamburg bei einer Gedenkveranstaltung zusammen.](https://taz.de/picture/6124646/14/395276999-1.jpeg)
N ach den gewaltigen Erdbeben in der Türkei und in Syrien habe ich sehr viel dazu gelesen und gehört. Zum Beispiel einen Tweet einer Frau in Deutschland, deren Familie in der Türkei vom Erdbeben betroffen ist. Sie schrieb, sie fühle sich verletzt, weil keine ihrer Kolleg*innen sich nach ihrer Familie erkundigt hat.
Das Ausmaß der Katastrophe ist unfassbar groß und schmerzvoll. Die Schätzungen, wie viele Menschen gestorben sind, steigen immer noch. Auch für mich persönlich waren die Wochen seit dem 6. Februar von diesem Thema bestimmt. Aber warum ist das auch ein Hamburger Thema?
Weil ungefähr 44.000 Menschen in Hamburg familiäre Wurzeln in der Türkei haben. Fast 18.000 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit leben in unserer Stadt, einer davon ich. Die allermeisten von ihnen, ihre Partner*innen, Verwandten und Freund*innen, werden von den Beben betroffen sein.
Wie in anderen Notfällen hat die Hamburger Zivilgesellschaft schnell und hilfsbereit reagiert. Es gab große Spendenaktionen, es sind Lastwagen mit Hilfsgütern in die Türkei gefahren und auch Einzelne haben Hilfe geschickt. Es gab eine Gedenkveranstaltung auf dem Rathausplatz, an der doppelt so viele Menschen teilgenommen haben wie erwartet.
Gleichzeitig fällt mir jetzt im Nachhinein auf, dass mich nur drei Freund*innen, die selbst nicht betroffen sind, nach der Situation meiner Familie gefragt haben.
Vielleicht, weil viele in meinem sozialen Umfeld wissen, dass meine Familie nicht im Erdbebengebiet lebt. Vielleicht, weil ich noch in derselben Woche einen Artikel für kohero geschrieben habe. Da habe ich unter anderem erwähnt, dass meine Familie nicht direkt betroffen ist. Vielleicht haben auch nur wenige in meinem Umfeld diese Verbindung zwischen dem Erdbeben und mir persönlich gesehen.
Doch ich frage mich: Wie viele nicht-betroffene Hamburger*innen haben sich um das Wohl ihrer Freund*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen, oder Bekannten gesorgt? Wie viele haben nachgefragt: „Geht es dir gut? Wie geht es deiner Familie? Wenn du etwas brauchst, ich bin für euch da.“
Es geht mir hier nicht darum, die Reaktion von Einzelnen schlecht zu machen. Ich suche nur nach Aufmerksamkeit für die persönliche Ebene, nach Anteilnahme von Hamburger*innen für Hamburger*innen.
Viele Syrer*innen haben hier ihr Exil gefunden und leben doch in Einsamkeit. Viele sind in den vergangenen Jahren zu deutschen Staatsbürger*innen geworden, haben hier neue Leben aufgebaut. Und nun sehen sie, wie ihre ehemaligen Schulen, ihre früheren Lieblingsorte, oder die Heimaten ihrer Familien ausgelöscht sind. Facebook ist der Ort, an dem sie Kontakt mit anderen finden und sich austauschen. Auch im Kontext des Erdbebens war Facebook ein wichtiger Kanal, um sich einerseits umeinander zu kümmern und Hilfe zu suchen oder anzubieten. Es war auch ein Ort, um ihren Schmerz und ihre Enttäuschung zu teilen.
Für das Forschungsprojekt „becoming a minority“ wurden Menschen ohne Migrationshintergrund in sechs europäischen Großstädten befragt. In einem Interview erzählte einer der Projektleiter, dass Hamburger*innen zwar sehr positiv auf kulturelle Vielfalt und Migration in ihren Nachbarschaften reagierten, aber gleichzeitig kaum Freund*innen mit Migrationsgeschichte hatten. Es gab deutlich weniger sogenannte „interethnische“ Freundschaften und Partnerschaften als in den anderen Städten.
Neben den vielen anderen Herausforderungen, die dieses Erdbeben gebracht hat, zeigt es für mich, dass wir untereinander mehr Kontakt, mehr Freundschaften, mehr Nachbarschaft brauchen.
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