Entwicklungshilfe lahmt: Kritik an Rechentricks
Die Entwicklungshilfe-Quotein Deutschland steigt zu langsam, bemängeln Hilfsorganisationen. Vor allem die Anrechnung von Krediten finden Verbände falsch.
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BERLIN taz | Das Versprechen klingt eindeutig: Bis zum Jahr 2015 will Deutschland 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen. Dass dieses Ziel ohne eine deutliche Ausweitung der Gelder nicht zu erreichen sein wird, davor warnen Hilfsorganisationen schon lange, denn 2010 lag der Wert nur bei 0,39 Prozent.
Im Vergleich zu den 0,35 Prozent von 2009 sieht das zwar immerhin nach einem Anstieg aus – doch dieser beruht zu einem erheblichen Teil nicht auf tatsächlichen Zahlen, sondern lediglich auf Krediten. Darauf haben die Hilfsorganisationen Terre des Hommes und Welthungerhilfe am Dienstag bei der Vorstellung ihres Berichts „Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik 2012“ in Berlin aufmerksam gemacht.
Kredite an Entwicklungsländer dürfen in voller Höhe auf die Entwicklungshilfequote angerechnet werden, wenn die Zinsen staatlich subventioniert werden oder die Kredite mit direkten Hilfszahlungen gekoppelt werden. Von 2007 bis 2010 hat sich die Höhe der auf die Entwicklungshilfe angerechneten Kredite von 280 Millionen Euro auf 1,12 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Der Anstieg der deutschen Quote von 2009 auf 2010 sei zum überwiegenden Teil auf zusätzliche Kredite zurückzuführen, schreiben die Organisationen.
Warnung vor „Strohfeuer“
Diese Entwicklung sehen sie aus zwei Gründen kritisch. Zum einen entstehe dadurch ein „Strohfeuereffekt“, sagte Danuta Sacher, Geschäftsführerin von Terre des Hommes: „Kurzfristig steigt die Quote an, aber wenn die Kredite zurückgezahlt werden, sinkt sie wieder.“ Zudem kämen diese Kredite vor allem den wirtschaftlich stärkeren Entwicklungsländern zugute. „Die ärmsten Länder gehen weitgehend leer aus.“ Notwendig sei stattdessen eine reale Erhöhung der Haushaltsmittel für Entwicklungszusammenarbeit.
Der Geschäftsführer der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann, kritisierte zudem ein fehlendes entwicklungspolitisches Gesamtkonzept der Bundesregierung. Alle zuständigen Ministerien müssten ihre Politik stärker abstimmen, und Leitlinien etwa für Menschenrechte sollten „ressortübergreifend Gültigkeit haben“, forderte Jamann.
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