Enttäuschung bei der Ruder-EM: Verlorener Anschluss
Einmal Bronze – das ist die deutsche EM-Bilanz im Rudern. Die massive Systemkritik von Ex-Weltmeister Oliver Zeidler wird erst mal abgebügelt.
Deshalb fällt der von heftigen Auseinandersetzungen begleitete sportliche Absturz des deutschen Ruderteams umso mehr auf. Nur einmal EM-Bronze gab durch Einer-Fahrerin Alexandra Förster für die einstigen Goldgaranten in den olympischen Disziplinen. Der als Topfavorit angetretene Local Hero Oliver Zeidler verpasste auf Platz vier die Fortsetzung einer grandiosen Familien-Erfolgsstory. Vor 50 Jahren bei den Sommerspielen 1972 hatte sein Opa Hans-Johann Färber an gleicher Stelle Olympiagold geholt. Nun gab es nur Blech für Zeidler – genau wie für den Deutschland-Achter der Männer. Auch das einstige Flaggschiff steckt in der Krise.
„Es läuft einfach nicht im deutschen Rudersport. Die Ergebnisse sind unterirdisch – genauso wie die Kommunikation zwischen Athleten und Verband“, schimpfte Zeidler. Der 26 Jahre alte Blondschopf hatte im Interview mit dem Münchner Merkur schon vor den kontinentalen Titelkämpfen heftige Kritik geübt: „Wenn man sich die Saisonresultate im Rudern anschaut, das ist ein Debakel. Wir sind so schlecht wie lange nicht. Die Abwärtsspirale, die 2010 angefangen hat, dreht sich immer schneller.“
Laut Zeidler liegt das an der komplett inkompetenten sportlichen Führung im Deutschen Ruderverband. Konkret forderte er den Rücktritt von Sportdirektor Mario Woldt. „Wenn man nach meiner Kritik an der Professionalität im Leistungsrudersport einfach sagt, dass man nicht weiß, worüber man spricht, dann ist das auch so ein Indiz dafür, dass einerseits der deutsche Sportdirektor vom Sport wirklich wenig Ahnung hat und zweitens unsere beiden Leitungspositionen im Rudersport eigentlich überhaupt keine Ahnung haben, was bei unseren Stützpunkten abgeht“, meinte Zeidler nach dem EM-Debakel.
Bundestrainerin im Oberlehrerinnenton
Bundestrainerin Brigitte Bielig wiederum hatte im Gespräch mit der Berliner Morgenpost gegen den besten deutschen Ruderer ausgeteilt: „Mit seiner Art der Kritik macht er uns als Verband das Leben nicht leichter. Ich schätze seine Leistungen außerordentlich, aber auch er muss noch einige Dinge lernen. Deshalb würde ich mir manchmal etwas mehr Zurückhaltung seinerseits wünschen.“
Zeidler wiederum findet, dass derlei pauschale Zurückweisung von berechtigten Kritikpunkten völlig am Thema vorbeigehe: „Wir brauchen einen anderen Umgang mit Kritik. Der Verband muss aufpassen, dass er nicht alle vergrault und irgendwann ohne Athleten dasteht.“ Damit meint der Chefkritiker nicht nur die Tatsache, dass viele deutsche Ruderer keine Profis sind, „aber gegen Profis antreten müssen“.
Er nennt auch den konkreten Fall von Ruder-Talent Marc Weber, der bei der legendären Regatta in Luzern gerade überraschend Platz drei im Einer belegt hatte. Laut Zeidler habe der Verband den Marburger aus der Bundeswehr drängen wollen, weil der angeblich seine Karriere beendet habe. Das entspräche aber überhaupt nicht den Tatsachen. „Das hat schon was von Erpressung“, sagt Zeidler.
Es brennt also lichterloh im deutschen Rudern – und vermutlich kann nur der von Zeidler geforderte große Knall der (personellen) Veränderung helfen. Im Finale des Doppelvierers der Frauen bei den European Championships kam das deutsche Boot mit unglaublichen 21 Sekunden Rückstand auf Goldgewinner Großbritannien ins Ziel. Eine der Nationen – genau wie Italien oder Rumänien – die den früheren deutschen Goldgaranten inzwischen um Lichtjahre davongezogen sind.
Hans-Johann Färber, der 1972 im sogenannten Bullenvierer Olympiagold bei den Sommerspielen von München gewonnen hatte, war trotzdem stolz. Schließlich saß im deutschen Doppelvierer mit Marie-Sophie Zeidler seine Enkelin. Die kleine Schwester von Oliver. „Dass mein Opa hier 50 Jahre nach seinem Triumph gleich zwei Enkel live bei den European Championships erlebt hat, hat ihn superhappy gemacht“, berichtete Oliver Zeidler. Der Zustand des deutschen Ruderns ist dagegen nur noch traurig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin