: Entschädigung für Zwangsarbeiter
■ Gesamtbetriebsrat der Stahlwerke Peine–Salzgitter appelliert an Bundesregierung, einen Entschädigungstopf zu schaffen / Stadtverwaltung torpediert Ratsbeschluß zur Errichtung einer KZ–Gedenkstätte
Aus Hannover Axel Kintzinger
Zu einem ungewöhnlichen Schritt hat sich der Gesamtbetriebsrat der - mehrheitlich in Bundesbesitz befindlichen - Stahlwerke Peine– Salzgitter AG entschieden. In einer „Entschließung zur Entschädigung von Zwangsarbeit“ wird die Bundesregierung aufgefordert, „in Zusammenarbeit mit den Vorständen der Stahlwerke die Schaffung eines Entschädigungsfonds aktiv zu betreiben und somit beispielhaft und vorbildlich bei der Lösung dieses Problems tätig zu werden“. Das „Problem“: Tausende von ZwangsarbeiterInnen, die zwischen 1939 und 45 im KZ Salzgitter–Drütte auf dem Werksgelände der damaligen „Hermann–Göring–Werke“ zur Sklavenarbeit gezwungen wurden, müssen bis heute auf eine Entschädigung warten. Etwa 100.000 Frauen und Männer wurden in das Stahlwerk verschleppt, Tausende (eine genaue Zahl läßt sich kaum ermitteln) kamen dabei um. „Der Umgang mit den Opfern, das Eingehen auf ihre materielle Situation und die Regelung der materiellen Folgen der Verfolgung“, stellt der Gesamtbetriebsrat fest, „sind wichtige Kriterien für die Weiterentwicklung unserer demokratischen Kultur.“ Eine gesetzliche Regelung fordert der Betriebsrat nicht nur für Peine–Salzgitter: „Alle anderen Betriebe bzw. die Rechtsnachfolger dieser Betriebe, die von der Zwangsarbeit profitiert haben“, sollen „nach einer kurzen Übergangszeit zur Mitfinanzierung des Entschädigungsfonds gesetzlich verpflichtet werden.“ Anlaß dieser Entschließung: Heute jährt sich zum 50. Mal die Gründung der Kriegsschmiede „Hermann–Göring–Werke“ (HGW), die als Salzgitter AG 1972 mit einem benachbarten Stahlwerk zur Peine–Salzgitter AG fusionierte. Die heutige Konzernleitung wehrt sich dagegen, als Nachfolger der HGW bezeichnet zu werden. Das ist auch ein Grund dafür, die Einrichtung einer KZ–Gedenkstätte auf dem Werksgelände zu verweigern. Genau dies fordern SPD, Grüne und der Betriebsrat des Werkes Salzgitter seit Jahren erfolglos. Ein entsprechender Ratsbeschluß, der mit einer rot–grünen Mehrheit im vergangenen Jahr gefaßt wurde, stößt nun bei der Stadtverwaltung auf Widerstand. Der Oberstadtdirektor von Salzgitter, Hendrik Gröttrup (SPD), bezieht sich in seiner Ablehnung auf die Argumentation der Konzernleitung. Danach könne die Gedenkstätte deswegen nicht an der historischen Stätte auf dem Werksgelände errichtet werden, weil dort eine elektrolytische Verzinkungsanlage gebaut werde, auf die man aus Gründen der Arbeitsplatzbeschaffung nicht verzichten könne. Nach Aussagen eines Betriebsratssprechers sei die Anlage allerdings bereits fast fertiggestellt, das KZ–Gelände jedoch nicht davon berührt worden. Eine Erklärung von Stadtverwaltung und Konzernleitung war gestern nicht zu bekommen. Am 50. Jahrestag der Stahlwerke– Gründung, die der Errichtung der Stadt Salzgitter vorausging, waren die entsprechenden Stellen nicht besetzt. Der Jahrestag findet offiziell nicht statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen