Entrechtung Die „Rum-Stadt“ Flensburg verdankte ihren Reichtum afrikanischen Sklaven, die in den westindischen Kolonien Zuckerrohr anbauten. Und auch Altona und Emden waren Stationen eines „Dreieckshandels“ unter dänischer Regie, in dem Menschen und Waren zwischen Afrika, der Karibik und europäischen Häfen verschachert wurden ▶Schwerpunkt SEITE 43–45: Die Spur des Rums
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Von David Joram
Wer den Rundgang zur Ausstellung „Rum, Schweiß und Tränen“ antritt, fängt beim Rum an. An zwei Tafeln kleben unzählige bunte Etiketten, die „feinsten Flensburger Jamaica-Rum“ bewerben, Alkoholgehalt 45 Prozent aufwärts. Hach, wie war das damals schön, als der Rum noch in Strömen durch die deutsch-dänische Stadt floss und der Wohlstand einzog! Wer sich die nostalgische Vorstellung von der „Rum-Stadt“ Flensburg erhalten will, sollte die weiteren Infotafeln im Schifffahrtsmuseum besser nicht so genau studieren. Sie erzählen vom anderen Flensburg, jenem, das Teil des großen Sklavenhandels zwischen Dänemark, Afrika und den dänisch-westindischen Inseln war.
Vor allem diesen Gegensatz betonen die MacherInnen um Kuratorin Imani Tafari-Ama. Sie spiegeln den Glanz des Rumhandels und beleuchten die andere, zutiefst menschenunwürdige Seite der dänisch-karibischen Beziehungen. Die nackten Zahlen haben sie groß an die Wände gepinselt: 12,5 Millionen verschleppte Afrikaner beim transatlantischen Sklavenhandel, davon 2 Millionen Kinder. Unter dänischer Flagge – so steht es an den dicken Museumsmauern – sind 85.650 Menschen von 1660 bis 1806 verschickt worden. 200 Zuckerrohrplantagen bestanden allein auf der „Zuckerinsel“ St. Croix, von wo im Jahr 1812 46 Millionen Pfund ausgeschifft wurden. Der „Holocaust der Versklavung“ soll damit dokumentiert werden. So weit die Statistik.
Atmosphärisch bereitet der Ausstellung ein Schiffsdeck den Holzboden, auf dem die Umrisse unzähliger fiktiver Menschen mit weißer Farbe aufgemalt sind. Über die Farbe, so erzählt es Tafari-Ama, habe man intensiv debattiert. Sie hätte sich schwarz gewünscht, schließlich seien es schwarze Menschen gewesen, die oft schon an Bord der Schiffe ihr Leben ließen. Doch die weißen Umrisse symbolisierten eher die klassische „crime scene“, wie man sie von Tatorten kenne.
Und darum geht es ja auch: Den Tatort Afrika näherbringen, wo die Schiffe mit Menschen beladen wurden. Dem Tatort Jungferninseln, wo aus Menschen Sklaven wurden, Konturen geben. Und natürlich: den Tatort Flensburg, der nie wie einer gewirkt hat, als solchen zu kennzeichnen.
Dokumente erzählen die Geschichte vergessener Verbindungen, offenbaren die Strukturen des Dreieckshandels und veranschaulichen die brutalen Methoden der Sklavenhändler.
Der Holocaust, der Mord an sechs Millionen Juden, ist fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses in Deutschland, seine Anerkennung gehört zur Gründungsgeschichte der BRD – wer aber hat je von der „Maafa“, dem afrikanischen Holocaust, gehört? Auch darüber klären Stellwände auf. Und natürlich über die Folgen: Den Verlust einer afrikanischen, selbstbestimmten Identität, die Fixierung auf europäische Normen in Sprache, Glaube, Alltagsgepflogenheiten. Über Charakterisierungen und Stereotype: auf der einen Seite steht das kulturell hochentwickelte Europa – auf der anderen Seite das wilde Afrika, dessen Einwohner entweder als „edle Wilde“ oder „kriegerische Kannibalen“ abgestempelt wurden.
Tafari-Ama will aber nicht nur das Trennende betonen, sondern gleichsam das Verbindende zwischen den Kulturen. Die Ausstellung zeigt deshalb auch, wie sich neue Formen der Architektur durch die Vermischung afrikanischer und europäischer Formen herausbildeten. Das Handelshaus in Flensburg, auch als „Westindienspeicher“ bezeichnet, wird als Beispiel angeführt.
Am Ende des Ausstellungs-Rundgangs gelangt man zur „Door of (no) Return“, dem Tor ohne Wiederkehr. Es steht symbolhaft für den Weg von Millionen Afrikanern, die einst über den Atlantik verschifft wurden – und die keine Möglichkeit hatten, je wieder in die eigene Heimat zurückzukehren. Sie wurden mit Schiffen transportiert, die auch im Dienste Flensburgs segelten – und aus der Stadt an der Förde eine „Rum-Stadt“ machten.
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