Entführung von Trinh Xuan Thanh: Gabriel ist schuld? Oder BMW?
In vietnamesischen Medien wird der Entführungsvorwurf zurückgewiesen. Schuld an den diplomatischen Spannungen sei allein Deutschland.
Ihm wird zur Last gelegt, als Chef einer Tochterfirma des staatlichen Öl- und Gaskonzerns PetroVietnam für Verluste von umgerechnet etwa 125 Millionen Euro verantwortlich zu sein. Der Vorgang hatte diplomatische Verstimmungen zwischen der Bundesregierung und Vietnam ausgelöst.
In vietnamesischen Medien wird die Situation seitdem heruntergespielt. So schrieb Nugyen The Nhat Phong, der Generaldirektor des staatlichen Rundfunks Voice of Vietnam: „Bisher haben die deutschen Behörden keine Beweise liefern können, dass Trinh Xuan Thanh ‚entführt‘ wurde.“
Selbst die Berliner Polizei spreche nur von einem Verdacht. „Wenn Zeugen eine Entführung gesehen haben wollen, warum hat die Polizei nicht sofort eine Ringfahndung für seine Rettung eingeleitet?“, fragt Phong. Und weiter: Deutschland habe keine Beweise vorgelegt. Es gebe weder Fotos noch Videos von der Entführung. Der Rundfunkchef beruft sich dabei auf Ho Ngoc T., einen vietnamesischen Juristen aus Deutschland, der bei einer deutschen Regierungsbehörde arbeiten soll. Laut seiner eigenen Facebookseite hat dieser Jurist früher an der Universität Jena gearbeitet. Seine aktuelle Arbeitsstelle in Deutschland verrät er nicht.
SPD auf dem absteigenden Ast
Phong, der als Rundfunkchef auch der Parteiführung angehört, streute in seinem Schreiben auch Spitzen gegen den deutschen Außenminister ein: Immerhin sei es „lediglich“ Sigmar Gabriel, der die deutsch-vietnamesischen Beziehungen auf den Prüfstand stellen möchte. Und Gabriel gehöre der SPD an, schreibt Phong. Die SPD sieht der vietnamesische Rundfunkchef auf dem absteigenden Ast. Er verweist darauf, dass in Deutschland bald gewählt wird. „Ein paar Tage, ein paar Wochen später wird das Ereignis vergessen sein“, gibt er sich überzeugt.
Vietnamesische Zeitungsleser vermuten in ihren Leserkommentaren einen ganz anderen Grund für die harschen deutschen Reaktionen: So stünden dem Vernehmen nach seit Monaten rund 700 BMW-Fahrzeuge in einem vietnamesischen Hafen und dürften nicht ins Land. Das habe nichts mit Abgasproblemen zu tun. Vietnamesischen Angaben zufolge sollen die Einfuhrpapiere fehlerhaft sein.
Am Rande des G20-Gipfels soll vietnamesischen Medienberichten zufolge Premierminister Nguyen Xuan Phuc BMW die Zusage gegeben haben, dass BMW Arbeiter in den Hafen schicken kann, die die Autos putzen und warten dürfen. „Will Deutschland mit der diplomatischen Krise nur erzwingen, dass die Autos eingeführt werden dürfen?“, spekuliert ein Leser.
Unterdessen ist der Chef des vietnamesischen Sicherheitsdienstes in Deutschland, der als erster Sekretär der Botschaft in Berlin fungierte, am Freitag über den Flughafen Berlin-Schönefeld ausgereist. Das geht aus einem Posting auf seiner persönlichen Facebookseite hervor. Deutschland hatte ihn vergangenen Mittwoch zur unerwünschten Person erklärt und ihn aufgefordert, binnen 48 Stunden auszureisen.
„20 Prozent Rabatt für deutsche Kochtöpfe und Messer“
Und es könnte weitere Ausweisungen vietnamesischer Diplomaten aus Deutschland geben. Das berichtete ein vietnamesischer Geschäftsmann aus Berlin der taz unter Berufung auf Vietnams Botschafter Xuan Hung Doan. Eine offizielle Bestätigung gibt es jedoch nicht. Den Angaben zufolge soll der Botschafter davon gesprochen haben, dass das Auswärtige Amt die Ausweisungen von fünf weiteren Diplomaten prüfe, darunter seine eigene.
Das sorgt in der vietnamesischen Gemeinde in Berlin für Heiterkeit. Ein Mann, der mit deutschen Küchenutensilien handelt, sagte der taz: „Ich stelle mich mit meiner Ware vor die vietnamesische Botschaft. Ausreisewilligen Diplomaten gewähre ich 20 Prozent Rabatt für meine Kochtöpfe und Messer. Schließlich wollen die für ihre Angehörigen ein Mitbringsel kaufen.“
Mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Patzelt hat sich nun ein erster deutscher Parlamentarier zur Entführung Thanhs geäußert. „Die Entführung ist ungeheuerlich. Wenn Vietnam im Konzert der zivilisierten Nationen mitspielen will, muss es Menschenrechte einhalten“, sagt er der taz. Patzelt war in den vergangenen eineinhalb Jahren mehrfach in Vietnam und hat sich mit Menschenrechtlern getroffen.
Anlass war, dass einige hundert politische und religiöse Gefangene ohne ein faires Verfahren in vietnamesischen Haftanstalten einsitzen. Im Juni und Juli wurden zwei Bloggerinnen wegen Propaganda gegen den Staat zu zehn beziehungsweise neun Jahren Haft verurteilt. Patzelt: „Die Opposition dort hofft, dass wir in der freien Welt nicht müde werden, eine Verbesserung der Menschenrechte anzumahnen. Die demokratische Öffentlichkeit hier ist ihr einziger Garant.“
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