Entführter isralischer Soldat: Israelis erinnern an Gilad Schalit
Der junge Soldat wurde vor vier Jahren in den Gazastreifen entführt. Bei einem "Lebensmarsch" sind über 120.000 Israelis einen Abschnitt der Strecke mitgelaufen.
BEIT DAGAN taz | "Die Kinder von Beith Dagan umarmen die Familie Gilad Schalit", steht in bunten Buchstaben auf einem riesigen Schild vor dem Rathaus der israelischen Kleinstadt. Aus Lautsprechern dröhnt Popmusik, Kinder halten gelbe Luftballons in den Händen. Mehrere Ventilatoren blasen kühle Luft in die unter Zeltplanen aufgestellten Plastikstuhlreihen. Mit lautem Klatschen empfängt die Menge die Familie Schalit, als sie aus dem Rathaus kommend die für sie freigehaltenen Stühle sucht.
Die Atmosphäre auf dem "Marsch des Lebens von Gilad" erinnert eher an ein Straßenfest als an eine Demonstration für die Befreiung des am 25. Juni 2006 von Palästinensern aus dem Gazastreifen entführten Soldaten. Die Mienen der seit vier Jahren auf ihren Sohn wartenden Eltern bleibt indes verschlossen. Erst als einer der Redner die Namen ihrer Kinder durcheinanderbringt, huscht ein Lächeln über Aviva Schalits Gesicht.
Joel, Gilads älterer Bruder, muss Hände drücken. "Sei deinen Eltern eine Stütze", mahnt einer der Anwesenden, und eine ältere Frau ruft ihm unter Tränen zu, dass "kein Preis zu hoch ist für deinen Bruder". Joel bedankt sich und sucht das Weite. Beit Dagan ist eine der letzten Stationen, bevor die Schalits am Donnerstagabend Jerusalem erreichen, wo Eltern und Geschwister bleiben wollen, "bis wir gute Nachrichten bekommen", so Joel.
Seit gut einer Woche sind sie unterwegs. Mehr als 120.000 Israelis sind Abschnitte der Strecke mitgelaufen, einige wenige auch von Anfang an. Einer der Höhepunkte war ein Konzert der Tel Aviver Philharmoniker unweit der Stelle, an der Gilad Schalit entführt wurde. Es herrscht Konsens im Land, dass der 23-Jährige nach Hause kommen soll. Nur - für welchen Preis? "Ich hatte das Gefühl, die Familie unterstützen zu müssen", sagte der Pensionär Jehuda Fuchs und fügte hinzu, der Regierung keinen Rat geben zu können.
Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte zu Beginn des "Lebensmarschs" klargestellt, dass die Entlassung von Terroristen, die die Hamas bei den Geiselverhandlungen fordert, "Leben gefährden kann". Netanjahu warnte, dass es "weitere Entführungen und weitere Morde auch durch die Hand derer, die entlassen werden", geben könnte. Sein letztes Angebot an die Hamas umfasste eintausend palästinensische Häftlinge. Dabei schränkte er ein, dass "gefährliche Terroristen nicht nach Judäa und Samaria (Westjordanland) zurückkehren sollen", was unter Militärs umstritten ist. Nach Ansicht von Avi Misrachi, Chef des Zentralkommandos, würden die ins Westjordanland entlassenen Schwerverbrecher keine sonderliche Gefahr darstellen.
Die Familie Schalit kann ihren tiefen Missmut gegenüber der Regierung nicht verbergen. Es müsse mehr getan werden, mahnt Vater Noam Schalit immer wieder. Die große Unterstützung beim "Lebensmarsch" zeige: "Das Volk will die Befreiung Gilads." Dabei haben die Schalits keinerlei Ambitionen, eine politische Initiative ins Leben zu rufen. "Gilad zu befreien ist nicht politisch", wehrt Joel energisch ab, stattdessen ginge es "um die moralische Verpflichtung des Staates", der seinen Bruder in den Einsatz geschickt hat.
Unter Politikern und in der Öffentlichkeit ist der Marsch, der seit Tagen die Titelseiten der Zeitungen füllt, umstritten. Einige halten ihn für zu sanft, andere für grundsätzlich verfehlt. Israel Hasson, Abgeordneter der Kadima und ehemals stellvertretender Chef des inländischen Nachrichtendienstes Shin Beth, fürchtet, dass "der Marsch den Staat schwächen wird". Sinnvoller wäre es gewesen, den Protest nicht an die eigene Regierung zu richten, sondern "an die Hamas, das (Nahost-)Quartett oder das Internationale Rote Kreuz".
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