Entführte Israelis in Gaza: „Sie sind gute Menschen“
Durch Soziale Medien erfuhren Freunde, dass Avinatan Or und Noa Argamani in Geiselhaft der Hamas sind. Ob die beiden noch leben, wissen sie nicht.
Noch immer wird eine unbekannte Zahl an Menschen aus Israel vermisst. Sie sind in der Gewalt von Terroristen der Hamas, die sie nach Gaza entführt haben. Schätzungen belaufen sich bislang auf über hundert Betroffene. Die taz hat mit zahlreichen Familienangehörigen und Freunden der Vermissten gesprochen. In den nächsten Tagen werden diese Gespräche veröffentlicht.
Avinatan Or und seine Freundin Noa Argamani besuchten das Supernova Festival nahe dem Gazastreifen. Ein Festival, angekündigt als „Fest der Freunde, der Liebe und der unendlichen Freiheit“. Terroristen der Hamas überfielen das Festival und töteten auf brutale Weise rund 260 der Besucher:innen. Avinatan Or und Noa Argamani verschleppten sie nach Gaza. Ein Video von der Entführung kursiert in den sozialen Netzwerken. Ihren 26. Geburtstag musste Noa Argamani am 11. Oktober in Gefangenschaft islamistischer Terroristen verbringen. Ihre Freundin Tal Barbibay weiß nicht, ob beide noch leben, sagt sie im Gespräch mit der taz.
„Avinatan ist 30 Jahre alt. Er lebt in Tel Aviv und arbeitet für ein Videounternehmen. Noa ist Studentin und 26 Jahre alt. Sie besuchten das Supernova Festival in der Nähe des Kibbuz Nir Oz. Viele Israelis fiebern das ganze Jahr auf dieses Festival hin. Gegen 6.30 Uhr in der Frühe waren plötzlich Sirenen zu hören. Avinatan und Noa versteckten sich, so wie wir es in Israel bei Raketenbeschuss gewohnt sind. Plötzlich haben sie Schüsse gehört, die Terroristen der Hamas überfielen das Festival. Sie versteckten sich mit anderen Freunden und Festivalbesuchern hinter Büschen. Sie hatten große Angst.
Hinweis: Das hier eingebettete Video enthält verstörende Szenen von Gewalt.
Empfohlener externer Inhalt
Auf WhatsApp haben sie einem Freund von uns geschrieben, regelrecht um Hilfe geschrien. Avinatan schrieb, dass neben ihm Menschen ermordet werden. Er schickte auch seinen Standort. Wir wissen also, wo er und Noa sich zuletzt aufgehalten haben. Dann schickte er noch ein Foto von sich hinterher: Er, auf dem Boden kauernd.
In seiner letzten Nachricht schrieb Avinatan, er hoffe, dass die Terroristen ihn und Noa nicht finden. Und Noa schrieb in einer ihrer letzten Nachrichten: „Hoffentlich wird jemand kommen und uns retten“.
Seitdem haben wir nichts mehr von unseren Freunden gehört. Wir erreichen sie nicht mehr auf ihren Handys. Die Hamas hat Videos von ihrer Entführung veröffentlicht. Ein Freund ist darauf in den sozialen Medien gestoßen. Wir haben Avinatan und Noa in diesen Videos identifiziert. Ab da wussten wir, dass sie nach Gaza verschleppt worden sind.
In der Nacht von Samstag auf Sonntag tauchte ein weiteres Video auf. Es zeigt Noa in Gefangenschaft, sie trinkt aus einer Wasserflasche. Das Video ist nur wenige Sekunden lang. Das ist das letzte Lebenszeichen, das wir von ihr bekommen haben. Wir durchsuchen konstant Telegram-Channels der Hamas in der Hoffnung, auf einem Video Avinatan und Noa zu erkennen. Wir wollen wissen, ob sie noch leben.
Avinatan ist ein liebenswerter, lustiger Mensch. Er hat viele Freunde. Jeder, der ihn kennt, wird dir sagen, dass er für dich da ist, wenn du etwas brauchst. Avinatan ist in einer großen Familie aufgewachsen, mit sechs Brüdern. Für mich ist er der beste Mensch, den man kennen kann.
Noa ist ein sehr fröhlicher Mensch, sie liebte das Leben. Sie mochte es, zu feiern und zu reisen. Ich kenne sie weniger gut als Avinatan. Habe sie als seine Freundin kennengelernt – und sie sofort lieben gelernt.
Avinatan und Noa wollten nach dem Ende von Noas Studium zusammenziehen. Sie hatten Pläne für die Zukunft, wollten irgendwann eine Familie gründen. Avinatan und Noa sind gute Menschen, sie haben niemandem etwas getan.
Ich mache mir Sorgen um meine Freunde, ich liebe sie so sehr. Es ist mir aber wichtig zu sagen, dass es weitere, über 150 Geiseln gibt, die nach Gaza verschleppt wurden. Familien wurden durch den Terror zerstört und gebrochen – für immer. Wir erleben in Israel die größte Attacke auf Juden, die mit seinem Ausmaß dem Holocaust am nächsten kommt. Es ist mir wichtig, dass der Welt das Ausmaß der Ermordungen von Zivilisten, von Männern, Frauen, Kindern, alten Menschen im Rollstuhl, bewusst wird.“
Protokoll: Erica Zingher
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken