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Entdeckung der Kammerspiele München„Es muss wehtun“

Die Emotionen der Schauspieler in „Warum läuft Herr R. Amok?“ scheinen vereist. Susanne Kennedy macht radikales und aufregendes Theater.

Szene aus Kennedys Inszenierung „Warum läuft Herr R. Amok?“ Bild: JU/Ostkreuz

Die Stille im Theater, wenn der Vorhang unten und der Applaus noch nicht da ist, kann sich endlos anfühlen. An diesem Premierenabend von Susanne Kennedys „Warum läuft Herr R. Amok?“ an den Münchner Kammerspielen ziehen sich die Sekunden quälend hin. Man lauert auf die Reaktion, denn am ersten Abend ihrer vorhergehenden Inszenierung, „Fegefeuer in Ingolstadt,“ mischten sich Buhrufe und Pfiffe in dröhnendes Klatschen.

„Was ist denn das für eine Scheiße?“, brüllte eine Frau. Auch dieses Mal ist das Publikum gespalten: Die einen feiern die Bühnenadaption des Fassbinder-Fengler-Films stürmisch, die anderen – nur sehr wenige, meist recht steife Herrschaften – sind schon lang heimgegangen. Münchner Publikum eben.

Kennedys radikales und aufregendes Theater polarisiert die Zuschauer. Von der Kritik wird es verehrt. Zweifellos ist die 37-Jährige eine der derzeit wichtigsten Regisseurinnen der deutschsprachigen Bühnen.

Mit der beeindruckenden Marieluise-Fleißer-Inszenierung „Fegefeuer in Ingolstadt“ gelang ihr im vergangenen Jahr der künstlerische Durchbruch. Die Zeitschrift Theater heute kürte sie zur Nachwuchsregisseurin 2013, und sie bekam den 3sat-Preis beim Berliner Theatertreffen.

Ein Schlag ins Gesicht

Sie ist eine Regisseurin, die es sich und uns nicht leicht macht und in ihren Inszenierungen eigensinnige Universen erfindet, eine Kunstwelt, die an David-Lynch-Filme erinnert. Formal streng, statisch wie eine Installation, die Figuren überzeichnet, aber facettenreich: Denn während „Fegefeuer“ eine finster-bigotte Gruselwelt beschwor, darf im komisch-grotesken „Herr R.“ am Ende zum wunderbaren Gitarrensolo aus Eric Claptons „Let It Grow“ Hoffnung aufkeimen.

Bei Kennedy ist stets schon das erste Bild ein visueller Schlag ins Gesicht, so auch in „Herr R.“: Der holzgetäfelte Raum, in dem Geschöpfe stehen, die nicht von unserer Welt kommen, die maskierten Gesichter scheinbar mit Wachs überzogen, die Bewegungen minimal oder puppenhaft. Was wir da sehen, können wir nicht einordnen, aber es fasziniert ungemein.

Kennedy brennt für die Sprache. Sie legt Worte und Sätze unter ein Mikroskop und analysiert, wie Menschen kommunizieren. Ihre Technik: Die Lippen der Schauspieler bewegen sich zu Playback. Indem die Alltagssprache mit allen Ähs, Öhs und Pausen aufgeschrieben und abgespielt wird, entlarvt sie ritualisierte sprachliche Gesten, bisweilen absurd, bisweilen Sinnleere tarnend. „Was kommt da jeden Tag raus aus unserem Mund?“ – dieser Gedanke treibt Kennedy an. Sie will den Zuschauer nicht in Ruhe zu lassen, ihn in eine Erfahrung hineinziehen, die unangenehm sein kann: „Ich mag es, wenn es wehtut.“

Kleinstadt prägt

Susanne Kennedy wirkt im Gespräch nachdenklich und gleichzeitig kompromisslos. Zwei Monate intensive Probenarbeit liegen hinter ihr. Mehr als „aufs Bett legen und was glotzen“ ist da abends oft nicht drin. Konsequent in ihrer künstlerischen Linie, gewährt sie offen Einblick in ihre Furcht, die schlaflosen Nächte: „Im Theater gibt es ja so viel Angst.“ Man begegnet „unglaublichen Machtsituationen“.

Eigentlich passt es ganz gut, dass Kennedy gerade mit „Fegefeuer in Ingolstadt“ der Durchbruch gelang. Fleißer sezierte die Bigotterie des kleinbürgerlichen Oberbayerns, das bis heute sehr konservativ ist. Kennedy kommt ebenfalls aus einer Welt fernab der großen Metropolen. In Friedrichshafen geboren, im beschaulichen Tuttlingen aufgewachsen, Lehrerelternhaus. Ihr Vater ist Schotte und leitet eine Nachhilfeschule. Die Laufbahn als Regisseurin war da nicht direkt vorgezeichnet: „Ich hab mir das alles immer nur vorgestellt und hatte gar keine Ahnung, was Theater eigentlich sein kann.“

Doch im Rückblick sei ihre Heimat ein „total wichtiger Ort“ gewesen: „Das ist in einem drin, das nimmt man mit.“ Dennoch zieht es Kennedy früh weg aus Baden-Württemberg. Ein Jahr mit 17 als Austauschschülerin in Edinburgh, mit 22 nach Amsterdam. Theater könnte etwas sein, denkt sie damals. Mit 24 bewirbt sie sich für den Studiengang Regie an der Kunsthochschule in Amsterdam und wird genommen. Bei Johan Simons, dem Intendanten der Kammerspiele, hospitiert sie. Jetzt sitzt er bei ihr im Publikum. Von ihm habe sie gelernt, dass sie als Regisseurin keine „alles wissende Entertainerin, die sofort alles kann“, sein muss.

Nach dem Studium inszenierte sie erfolgreich etwa am Nationaltheater in Den Haag – Klassiker wie Ibsen, aber auch sperrige Autorinnen wie Kane und Jelinek, die eine entschiedene Regiehandschrift fordern. 2011 folgte das erste Engagement an den Kammerspielen mit einer Filmadaption „They shoot horses, don’t they?“.

Etliche Projekte

Seit „Fegefeuer“ kann sie sich aussuchen, was sie machen will. Deshalb stehen für 2015 und 2016 etliche Projekte an. Eine Produktion – vermutlich ein John-Cassevates-Stoff – im Gorki-Theater in Berlin ist geplant, „L’Orfeo“ von Monteverdi bei der Ruhrtriennale und die Oper „Reigen“ von Philippe Boesmans in Stuttgart. Selbst ein Stück schreiben? Erst mal nicht: „Ich bin eher eine Zusammenstellerin.“

Dreizehn Jahre hat Kennedy in Holland gelebt und war nur phasenweise in Deutschland. Seit einem halben Jahr ist Susanne Kennedy Wahl-Kreuzbergerin in Berlin. Ihr Bruder lebt dort, viele Freunde von früher. „Es ist, als wäre ich nun in einem kleinem Dorf angekommen.“

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