Enquete-Kommission gegen Rassismus: Traurige Veranstaltung
Die Enquete-Kommission gegen Rassismus ist zerstritten. Die CDU torpediere die Veranstaltung, sagen Beteiligte. Diesen Freitag ist Krisenaussprache.
Eigentlich ist eine Enquete-Kommission eine feine Sache. Hier können sich Politiker:innen ausführlich und mit sachverständiger Unterstützung einem gesellschaftlichen Großthema widmen und auf Basis einer fundierten Problemanalyse ausgeruhte Vorschläge für Gesetze und politische Maßnahmen entwickeln.
Die Einrichtung der Enquete-Kommission „Für gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede Form von Diskriminierung“ im Abgeordnetenhaus vor rund einem Jahr ließ also hoffen. Die Übernahme dieses Vorhabens von der R2G-Vorgängerregierung durch Schwarz-Rot schien zu bedeuten, dass auch die CDU erkannt hat, dass Diskriminierung und Rassismus in all seinen Formen inzwischen Ausmaße angenommen haben, die den Zusammenhalt der Gesellschaft tatsächlich gefährden.
Doch von Beginn an hakte es – und nach einem Jahr und 12 Sitzungen macht sich unter vielen Beteiligten Enttäuschung bis Fassungslosigkeit breit. Mitglieder der Kommission, mit denen die taz gesprochen hat, sprechen von „Zeitverschwendung“ und „Alibiveranstaltung“, das Gesprächsklima sei völlig vergiftet. Daher wollen die meisten nur im Hintergrund sprechen – zu groß ist die Angst, selbst in die Schusslinie zu geraten.
Dass die Enquete ihrer Aufgabe gerecht werden kann – sie soll im nächsten Sommer einen Abschlussbericht präsentieren – glaubt derzeit niemand mehr. Diesen Freitag soll es im Rahmen der monatlichen Sitzung eine nicht-öffentliche Aussprache geben.
Stuktureller Rassismus in staatlichen Institutionen
Im Zentrum der Kritik stehen die Abgeordneten der CDU. Alle Mitglieder der Enquete, mit denen die taz sprach, sehen ein Grundproblem darin, dass die konservativen Politiker – die AfD ist in der Kommission nicht vertreten – die Realität nicht anerkennen wollen: dass es strukturellen Rassismus in staatlichen Institutionen wie der Polizei, dass es antimuslimischen Rassismus gibt. Wissenschaftler:innen und Expert:innen aus der Praxis, die zu Vorträgen und Fragerunden eingeladen wurden, werde die Kompetenz abgesprochen. Zu hören ist auch, dass strukturelle Probleme als individuelle kleingeredet werden.
Dazu muss man wissen: In der Kommission sitzen neben 13 Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und Linken zusätzlich 11 Sachverständige mit ebenso vielen Stellvertreter:innen. Die Sachverständigen, die jede Fraktion für sich benannt hat, sind Wissenschaftler:innen oder Expert:innen aus der Praxis. Zusätzlich werden Anzuhörende eingeladen, ebenfalls Wissenschaftler:innen oder Praktiker:innen, die zu einem bestimmten Unterthema sprechen und befragt werden.
In der Juli-Sitzung zum Beispiel ging es um antimuslimischen Rassismus. Mehrere Expert:innen erklärten das Phänomen von wissenschaftlicher und praktischer Seite, darunter Karim Fereidooni, Professor für Didaktik an der Ruhr-Uni Bochum. In der anschließenden Fragerunde ging es der Sachverständigen der CDU, der Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig, laut Wortprotokoll offenkundig darum, die Erkenntnisse der Wissenschaftler:innen kleinzureden. Unter anderem sagte sie: „Man hat bei demselben Thema nicht nur verschiedene wissenschaftliche Einschätzungen, (…) man kann auch so forschen – was natürlich dem Objektivitätsideal widerspricht –, dass man genau das herausbekommt, was man von Anfang an haben wollte.“
Auch der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz war mit den Ergebnissen der Wissenschaftler:innen nicht zufrieden. Er sagte: „Was ich aber wirklich ablehne, ist so eine Grundannahme, wir hätten eine strukturelle Muslimfeindlichkeit, einen strukturellen Rassismus in unseren Institutionen“.
„Empirische Befunde sollten relativiert werden“
Fereidooni findet das ein ungeheures Vorgehen: Zehnpfennig habe tatsächlich versucht, „empirische Befunde zu relativieren und repräsentative Studien zu bezweifeln“, erinnert er sich im Gespräch mit der taz. „Wissenschaftlich nicht seriös und zudem unkollegial“, nennt er das. Fereidooni hat auch registriert, dass die CDU insgesamt in der Kommission „den wissenschaftlichen Ergebnissen nicht so gesonnen“ gewesen sei. „Vielleicht gibt es hier selektive Sensibilitäten, so etwas wie antimuslimischen Rassismus gibt es wohl nicht in ihrer Welt.“
Ähnlich ging es in der Oktober-Sitzung zu. Da zweifelte Lenz an, dass es einen wissenschaftlichen Konsens über das Vorhandensein von strukturellem, also institutionellem Rassismus bei der Polizei gibt – obwohl genau dies mehrere Expert:innen soeben dargelegt hatten.
Das ging sogar dem Sachverständigen des Koalitionspartners zu weit. Cihan Sinanoğlu, Sozialwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung und für die SPD in der Kommission, sagte laut Protokoll: „…weil es von Herrn Lenz gerade hieß, dass es keinen Konsens in der Wissenschaft dazu gibt: Ich hätte es begrüßt, wenn wir heute unterschiedliche wissenschaftliche Stimmen gehört hätten, um wirklich in einen Austausch zu gehen. Einfach nur zu behaupten, dass es keinen Konsens gebe, bringt, glaube ich, die Diskussion gerade nicht weiter.“
Ein Sachverständiger kommt nach 8 Sitzungen daher zu dem Schluss: „Ich kann bei der CDU kein echtes Interesse am Thema erkennen.“ Sogar ein Sachverständiger, der von der CDU berufen wurde, bedauert, dass die Fraktion das Vorhandensein von antimuslimischem sowie strukturellem Rassismus verneint – er selbst sehe das anders. Doch auch die andere Seite, gemeint sind vor allem Linke und Grüne, habe eine Mitschuld an der Misere: „Alle lehnen Inhalte ab, nur weil sie von der Gegenseite kommen.“
Konkret wirft er Linken und Grünen vor, dass sie nicht anerkennen wollten, dass „Antisemitismus in migrantischen Communities ein strukturelles Problem“ sei. Wer dies anspreche oder auch andere Probleme von migrantischen Familien, etwa patriarchale Strukturen, werde gleich als „Rassist“ gebrandmarkt.
Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linken, und ebenfalls Mitglied im Ausschuss, weist das zurück. „Antisemitismus tritt in unterschiedlichen Formen und aus unterschiedlicher Motivation auf. Sei es verschwörungsideologisch, religiös-fundamentalistisch, NS-verharmlosend, völkisch oder israelbezogen.“ Struktureller Antisemitismus sei historisch gewachsen und tief in den Institutionen verankert, fährt sie fort. „Er lässt sich also gerade nicht auf eine Minderheit innerhalb der Gesellschaft reduzieren. Wer diese Zustände nicht anerkennt, kann sie auch nicht wirksam bekämpfen.“
Auch Tuba Bozkurt, die für die Grünen in der Kommission sitzt, ist empört. Der taz sagte sie: „Natürlich gibt es Antisemitismus auch in migrantischen Communities. Das haben wir Grünen immer klar, deutlich und ohne Ausflüchte benannt – auch in Sitzungen der Enquete-Kommission. Struktureller Antisemitismus aber ist in Deutschland von christlich-europäischen Mehrheitsgesellschaften erzeugt und über Jahrhunderte in staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen verankert worden.“
Beide Abgeordnete machen auf ein weiteres Problem aufmerksam: Es werde zunehmend schwierig, Expert:innen für die Anhörungen zu finden. „Leute wollen nicht mehr auftreten aus Angst, dass ihre Projekte gekürzt werden“, sagt Helm. Die Befürchtung ist nicht unbegründet. Im Zuge der CDU-Fördergeldaffäre kam kürzlich heraus, dass der Abgeordnete Timur Husein, Sprecher der CDU-Fraktion für Antisemitismusbekämpfung und ebenfalls Mitglied in der Kommission, sich dafür einsetzte, die Förderung für den Träger BildungsBausteine zu beenden. Nach seiner Meinung ist der Träger ungeeignet im Kampf gegen Antisemitismus. Der Grund: Eine Vertreterin habe vor der Kommission gesagt, „dass für die Berliner Juden die größte Gefahr von AfD und CDU ausgeht“, wie er auf Facebook erklärte.
Seither geht die Angst um in der Antirassismusszene, dass Kritik – an staatlichen Institutionen, Rechtsruck oder blinden Flecken der Mehrheitsgesellschaft – finanziell abgestraft wird.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Z-Wort: Husein hatte kürzlich in einem Insta-Post, der gegen die Linken hetzte, mal so nebenbei Sinti und Roma verunglimpft. Ist ein Mann, der so unsensibel ist oder sich gar bewusst mit solchen Tabubrüchen in Szene zu setzen versucht, wirklich geeignet, um Strategien auch gegen Antiziganismus zu erarbeiten? Für Angehörige der Minderheit, die in der Kommission sitzen oder von ihr angehört werden, dürfte er sich als Gesprächspartner disqualifiziert haben. Auch das könnte am Freitag Thema der Aussprache sein.
Bis hierher fasst Tuba Bozkurt von den Grünen die Lage so zusammen: „Die CDU muss sich in dieser Enquete-Kommission schon die Frage gefallen lassen, wo sie sich eigentlich noch von der Rhetorik der AfD unterscheidet. Wenn man wissenschaftliche Fakten bestreitet, Anzuhörende einschüchtert und Debatten in Abwehrkämpfe verwandelt, verhindert man jede sachliche Arbeit und sendet ein desaströses Signal an Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind.“
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