piwik no script img

Englands Spitzel-Journalisten1234 - drin!

Illegale Recherchen, wie das Abhören einer fremden Mailbox, scheinen in England weit verbreitet. Wer bringt den Journalisten dort bloß bei, fremde Handys anzuzapfen?

Britische Journalisten bedienen sich unseriöser Techniken, um an Informationen zu kommen. Bild: dpa

LONDON taz | Wie kommt der Journalist an seine Story? Ganz einfach: Man ruft die Bank an, erzählt etwas von einem Scheck oder sagt, man sei der Kunde, und erfährt so Kontostand oder Überweisungen. Oder man ruft bei einem Prominenten auf dem Handy an, und während es klingelt, wählt ein Kollege dieselbe Nummer, um an die Mailbox zu geraten; dann legt man auf, und der Kollege versucht die Nachrichten auf der Mailbox abzuhören, indem er PINs ausprobiert, etwa "1234". Findet sich vielleicht ja eine Schlagzeile unter den Nachrichten auf so einer Promi-Mailbox.

So oder ähnlich arbeiteten manche Journalisten in Großbritannien. Im Juli kochte der sogenannte Phone-Hacking-Skandal über, als der Guardian veröffentlichte, dass Journalisten des inzwischen eingestellten Sonntagsblatts News of the World vor fast zehn Jahren auch die Mailbox eines entführten Mädchens abgehört und, als sie voll war, Nachrichten gelöscht hatten.

"Ich wüsste gar nicht, wie das geht", sagt Neil Pooran. Er hat den in England üblichen Weg gewählt, nach seinem Politik-Bachelor fast ein Jahr lang Journalismus an der Universität Cardiff studiert und bewirbt sich jetzt bei Zeitungen. Seit zwei Wochen hat er auch das Zertifikat "Diplom Journalist" des National Council for the Training of Journalists. Dieser freiwillige Zusatz "geprüfter Journalist" erhöhe seine Jobchancen, sagt Neil. Um ihn zu bekommen, musste er etwa aus Fakten und Stellungnahmen eine Nachricht formulieren oder eine Gerichtsverhandlung mit hundert Wörtern pro Minute stenografieren.

Die journalistische Ausbildung liegt in Großbritannien hauptsächlich bei Universitäten und weniger bei Verlagen wie in Deutschland. Inhaltlich unterscheide sich, was junge Journalisten hier lernen, aber nicht wesentlich von dem, was sie in Deutschland beigebracht bekommen, sagt Steven Barnett, Journalismusprofessor an der University of Westminster in London. "Die Journalisten verlassen die Uni mit einem starken Bewusstsein für die ethischen Grenzen, sie kennen die verschiedenen ethischen Regeln und Normen und verstehen den Unterschied zwischen öffentlichem Interesse und Neugier", sagt Barnett.

"An Recherchetechniken haben wir das übliche Handwerkszeug gelernt", sagt Mairi Gordon, die zusammen mit Neil Pooran in Cardiff studierte: wie man eine Recherche plant, wie man eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz schreibt und dass man dann seine Notizen immer aufheben solle.

Aber wie kommt es, dass illegale Recherchetechniken so weit verbreitet sind? Deren Ursprünge lägen in der Branche der Privatdetektive, sagt Richard Tait, Leiter des Centre for Journalism der Universität Cardiff. Im Jahr 2003 durchsuchten britische Behörden in der "Operation Motorman" die Wohnungen mehrerer Privatdetektive. Die Erkenntnisse ließen erahnen, wie systematisch die Branche Aufträge bekommen hat - nicht nur von Medien, sondern auch von Versicherungsunternehmen, die Betrug nachweisen wollten. Es gab sogar detailliertes Lehrmaterial mit Anleitungen, wie man sich zum Beispiel am Telefon als Mitarbeiter eines Fundbüros ausgeben kann, um Kontakt zu Freunden einer Zielperson zu bekommen.

Einer der Detektive, Steve Whittamore, dokumentierte sein Treiben besonders gründlich. Er hatte innerhalb von drei Jahren mehr als 950 illegale Recherchen für etwa 300 Journalisten betreut. Kontaktleute bei Polizei und Behörden besorgten ihm Kriminalakten oder fanden heraus, auf wen ein bestimmter Wagen gemeldet ist. Solche Informationen haben die Zeitungen genutzt, um etwa über Lottogewinner schreiben zu können, die freiwillig nichts erzählt hätten. Der Privatdetektiv erledigte dabei die Arbeit nicht immer selbst, sondern beauftragte wiederum andere Detektive, um an die Informationen zu kommen. Für 17,50 Pfund kamen Journalisten an eine Adresse, die Kriminalakte kostete 500 Pfund, die Handynummer 750 Pfund.

Das alles hat der britische Datenschutzbeauftragte 2006 dokumentiert, man kann das in den Archiven der britischen Zeitungen nachlesen, die den Fall damals verfolgten, und in dem Buch "Flat Earth News" des Guardian-Journalisten Nick Davies, der auch die aktuellen Enthüllungen des Phone-Hacking-Skandals recherchiert hat. Dass Privatdetektive regelmäßig Journalisten zuarbeiten, war lange bekannt.

Auch heute sind solche illegalen Recherchetechniken innerhalb der Redaktionen kaum ein Geheimnis. Einem Praktikanten in einem Newsroom von Rupert Murdochs britischem Ableger News International genügten im vergangenen Jahr wenige Wochen, um das Gefühl zu bekommen, dass mit den Recherchen und der Mentalität von manchen Kollegen dort etwas nicht stimme. Und wenn man sich unter den dortigen Journalisten umhört, bekommt man entweder gar keine oder die flüchtige Antwort, Phone-Hacking sei generell immer noch recht weit verbreitet.

Deswegen sind die meisten Journalisten aktuell nicht überrascht darüber, dass Redaktionen mit solchen illegalen Methoden arbeiteten. "Überraschend war das Ausmaß", sagt Richard Tait. Die Journalistenschulen wie seine in Cardiff müssten daher "genau überlegen", welche Konsequenzen sie für ihre Lehre zögen.

Auch an der City University London wird sich die Lehre in Ethik ändern müssen, sagt der Leiter der dortigen Journalistenschule, George Brock. Es gehe hier nun nicht um die übliche Frage: "Was ist richtig und was ist falsch?", sondern um die Frage: "Wie halte ich mich an bestehende Regeln und Gesetze?" Und das sei kein Problem, das allein an Unis gelöst werden könne, sind sich die Professoren und Studenten einig. Das seien weitreichende Fragen von Regulierung und Überwachung, Fragen der Firmenkultur und Probleme des starken Wettbewerbs auf dem britischen Zeitungsmarkt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • HK
    Herni K.

    Das ganze hat mit "hacken" nichts zu tun.

    Es wird ja nichtmal eine Sicherheitslücke ausgenutzt, sondern nur die Idiotie vieler Handynutzer - wenn man die Standard-Pin ändert hat man quasi nichts zu befürchten.

    Wobei ich nicht weiß, ob da nach x Fehlversuchen sperren greifen - wenn nicht könnte man mit einer simplen Bruteforce-Attack schon weiter kommen, sind ja nur 4 Ziffern, also 10^4 Möglichkeiten.

    Mit einer VOIP-Anlage und einem entsprechendem Script sollte das in einer vertretbaren Zeitspanne möglich sein.

  • JV
    Johann von Wolfgang

    Deutsche Journalisten, die sich über die Recherchemethoden ihrer Englischen Kollegen echauffieren.

     

    Aber HIER IN DEUTSCHLAND wäre so etwas ja NIEMALS möglich. Für sowas sind wir ja viel zu anständig. Weil nicht sein kann was nicht sein darf. Und die bloße Anschuldigung ist ja schon untragbar ohne Beweise...

     

    ...die aber in England eben auch bis vor sehr kurzer Zeit gefehlt haben. Was nichts darüber aussagt, wieviele Jahre und Jahrzehnte derlei schon abläuft.

  • M
    Marc

    Schwach recherchiert, denn die Spitzelei geht noch einfacher bzw. ging noch viel einfacher.

     

    Um auf die Mailbox zu kommen braucht man keine zwei Anrufer. Es reicht Vorwahl + Mailboxcode + Durchwahl (bei D1 zB 0171-13-1234567 oder bei O2 0179-33-1234567) anzuwählen und ohne Klingeln meldet sich die Box.

    Bis vor ein paar Jahren reichte es, z.B. via VoIP die abgehende Nummer zu spoofen und die Mobilnummer des Mailboxinhabers vorzugaukeln, um sich bei der Mobilbox als "Inhaber" zu legitimieren. Sprich: Es wird gar nicht erst nach einer PIN gefragt.

  • G
    graetz

    ... dabei kann man die Mailboxen auch direkt anrufen - es braucht keinen zweiten Anruf.

  • AA
    an an deviant

    Tatsächlich findet man selbst im deutschem Google schon bei den sehr simplen Suchwörtern "mailbox anzapfen hacking" bereits unter dem zweiten Treffer eine simple Anleitung, die dort von einigen Nutzern eines (im Prinip sogar sehr harmlosen) Forums "zusammengetragen" wurde.

    Dennoch stimme ich zu, dass der Beitrag von "deviant" in erster Linie reißerisch anmutet-

    daran das er prinipiell richtig liegt ändert dies allerdings nichts - wir haben (zumindest in den Wohlstandsländern) einen Zustand erreicht, in dem man die verbreitung von "gefährlichem" auch Wissen nichtmehr einschränken kann. Das sie (und das ist in diesem Fall nicht abwertend gemeint) als "Normalnutzer" nicht regelmäßig auf Seiten stoßen, die Anleitungen zum Hacken fremder Rechner bereitstellen ist eigentlich klar-

    doch wer sich für solche Dinge interessiert (aus welchem Grund auch immer) stößt sobald er etwas Interneterfahrung hat quasie automatisch auf sie. Wichtig ist heutzutage eher, dass die Menschen verantwortungsbewusst mit den ihnen zur verfügung stehenden Mitteln umgehen.

  • P
    Pseudonym

    Liebe TAZ Redaktoren,

     

    solltet ihr mit eurer Weisheit mal an Grenzen stoßen was eure Mobiltelefone angeht, wendet euch getrost an die Dresdner Polizei, die kennt eure Telefone besser als ihr GLAUBT.

     

    Grußbereitschaft.

  • M
    MeinName

    Wenn man im englischsprachigen Netz recherchiert findet man ziemlich schnell Seiten mit Anleitungen zum Hacken in eine fremde Mailbox. Ob die korrekt sind kann ich nicht sagen aber ich bin mir ziemlich sicher, dass man mit ein wenig Recherche ziemlich schnell ans Ziel kommt.....

  • D
    deviant

    @anonymer Antworter:

    Vielleicht ist es auch besser so, dass Sie das nicht wissen.

     

    Zu: monetärer Druck

    Das ist etwas, das immer wieder angeführt wird, aber nur selten als Grund wirklich funktioniert. Es mag ein Katalysator sein, aber trotz Millionen HartzIV-Empfängern haben wir keine signifikante Erhöhung von Betrugs-, Raubes- und Diebstahlsdelikten durch diese Klientel - obwohl die doch ernsten monetären Druck haben...? Der Interpretation, der Sie so leichtfertig folgen, zufolge ist das ein Paradoxon.

     

    Die moralische Grundausstattung eines Menschen muss bereits gravierend gestört sein, damit er durch "monetären Druck" dann tatsächlich so handelt wie hier beschrieben.

    Monetärer Druck ist dabei ein ähnlich billiges Konzept unter Linken, wie es "der freie Markt regelt das schon" für die Rechten ist; ich bin nicht bereit, mich so billig abspeisen zu lassen, und es spricht nicht gerade für Sie, wenn Sie das tun.

  • AD
    an deviant:

    hm, also die frage, wer hat denen das beigebracht kann ich noch nachvollziehen, weil ich finde dazu weder eine anleitung via google, noch wüsste ich jetzt, wie das geht, noch, wer mir das sagen könnte.

     

    die frage, die du stellst, finde ich dagegen mehr zur kategorie "geschwätz" passend, denn die antwort auf deine frage steht ja schon im artikel: die wettbewerbssituation auf dem zeitungsmarkt, kurz geld. ich hab den eindruck, du willst dich hier ein bisschen wichtig machen.

  • D
    deviant

    "Wer hat denen das beigebracht?"?

     

    Ernsthaft?

     

    "Wer hat denen das beigebracht?"?!?

     

    In einer Zeit, in der es kaum 5 Minuten, Google und ein bisschen Recherchefähigkeit braucht, um herauszufinden, wie man mit handelsüblichem Dünger eine effektive Bombe baut, fragen Sie sich ernsthaft, wo man lernt, wie man in Sicherheitssysteme eindringt?

     

    Da können Sie auch einen Biber fragen, wer ihm beigebracht hat, Dämme zu bauen.

     

     

    Die einzige Frage, und nicht nur eine unter vielen, kann hier nur lauten: "Wie konnten es passieren, dass sie dieses Wissen tatsächlich angewendet haben?"

    Und machen wir uns keine Illusionen: Der Journalist ist auch nicht besser als sein durchschnittlicher Leser.

    Daran ändert auch Ethikunterricht nichts.