Englands Einzug ins EM-Finale: Kurz vor dem Olymp
Dem englischen Team gelingt gegen Dänemark, was viele goldene Generationen nicht vollbrachten. Doch erst der Titel würde den Fluch brechen.
Nach dem größten englischen Fußball-Abend seit 54 Jahren sah man viele Helden der Vergangenheit in den Straßen des Londoner Stadtteils Wembley, wie sie sich ihren Weg zur Tube, dem nächsten Kiosk oder einem der zahlreichen Fast-Food-Etablissements bahnten. Man sah Beckham, man sah Gerrard, man sah Rooney, man sah natürlich ziemlich oft Gascoigne. Die Namen auf den Trikots der Fans erinnerten daran, wie viele herausragende Spieler England produziert hat in den vergangenen Jahrzehnten – Weltstars, sogenannte goldene Generationen, angebliche Heilsbringer.
Niemand der genannten hat allerdings vollbracht, was der aktuellen englischen Auswahl gelungen ist – nämlich zum ersten Mal seit dem Weltmeistertitel 1966 das Finale eines großen Turniers zu erreichen. Die Mannschaften um David Beckham, Steven Gerrard, Wayne Rooney und Paul Gascoigne sind immer gescheitert, manchmal glorreich, oft peinlich, immer traumatisch. Den Fluch des englischen Versagens gebrochen zu haben mit dem Einzug ins EM-Endspiel am Sonntag gegen Italien – das können sich nach dem 2:1 nach Verlängerung im Halbfinale gegen Dänemark Profis wie Jordan Pickford, Harry Maguire, Raheem Sterling und Harry Kane in den Lebenslauf schreiben.
Für die englische Öffentlichkeit ist klar, was in den 120 packenden Minuten unter dem Bogen des Wembley-Stadions passiert war, nämlich Historisches. „England schreibt Geschichte“, jubelte die Times auf der Titelseite. „The History Boys“, titelte der Telegraph in Anlehnung an ein gleichnamiges Theaterstück.
„War er je zu Hause?“
Der Daily Mirror brauchte nur ein Wort, um die Empfindungen im Land zusammenzufassen: „FINALLY!“ Endlich. „Wir haben unserer Nation eine fantastische Nacht geschenkt“, sagte Trainer Gareth Southgate. Eine weitere, eine letzte große Hürde sei aber noch zu überwinden, im Finale gegen Italien. Sollte das gelingen, dürfte die Mannschaft im Olymp der englischen Fußball-Götter einen Platz neben den Weltmeistern von 1966 einnehmen.
England setzte sich gegen Dänemark verdient durch, war klar überlegen und hatte die besseren Chancen. Diese wurden aber immer wieder zunichte gemacht durch den überragenden dänischen Torwart Kasper Schmeichel. Es passte, dass er im Mittelpunkt stand. So war es ja schon vor der Partie gewesen. Herrlich nüchtern hatte er sich zum Hype darum geäußert, dass der Fußball möglicherweise „nach Hause“ kommt, wie es in der englischen Fan-Hymne „Three Lions (Football’s Coming Home)“ heißt. „War er je zu Hause?“, hatte Schmeichel angesichts der Tatsache gefragt, dass England noch nie Europameister war. Anders als Dänemark selbst, nämlich 1992, damals mit Kaspers Vater Peter Schmeichel im Tor.
Es wäre die ultimative Horror-Story aus englischer Sicht gewesen, wenn Schmeichel junior, beschäftigt bei Leicester City in der Premier League, nach seinen frechen Aussagen Englands Weg ins Finale versperrt hätte. Doch am Ende mussten sich die erschöpften Dänen geschlagen geben. Ihre Führung durch den herrlichen Freistoß von Mikkel Damsgaard nach einer halben Stunde war schnell wieder dahin durch das Eigentor von Simon Kjær. Danach griffen im Grunde nur noch die Engländer an, wurden aber erst in der Verlängerung erlöst. Harry Kane scheiterte per Elfmeter an Schmeichel und verwertete den Nachschuss.
Treffer höchst umstritten
Auch wenn Englands Sieg gerechtfertigt war, so war das Zustandekommen des entscheidenden Treffers höchst umstritten und hinterließ bei Dänemark das Gefühl, um das Finale betrogen worden zu sein. Als Raheem Sterling von der rechten Seite Richtung Strafraum dribbelte, lag dort ein zweiter Ball, der die Dänen irritierte. Im Strafraum angekommen, wurde Sterling von Joakim Mæhle und Mathias Jensen in die Zange genommen und ging nach einem höchstens minimalen Kontakt zu Boden.
„Es wird einen Gewinner und einen Verlierer geben. Wir müssen sicherstellen, dass wir auf der richtigen Seite sind“, sagte Kapitän Kane mit Blick auf das Endspiel. Ihm ist klar, dem ganzen Land ist klar: Erst der erste EM-Titel würde den Fluch des englischen Scheiterns endgültig vertreiben.
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