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Engere Grenzen bei Durchsuchung

Das Bundesverfassungsgericht fordert, dass Durchsuchungen nur noch in Ausnahmefällen von Polizei und Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Der Begriff „Gefahr im Verzuge“ sei eng auszulegen. Appell Karlsruhes an die Richter: Erreichbar sein

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Bürger sollen künftig besser gegen vorschnelle Wohnungsdurchsuchungen geschützt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht gestern entschieden. Staatsanwaltschaft und Polizei sollen eine Durchsuchung nur noch „in Ausnahmefällen“ anordnen können – der richterliche Durchsuchungsbeschluss soll wieder die Regel werden.

In der Praxis war es bislang umgekehrt. Erfolg hatte damit ausgerechnet die Verfassungsbeschwerde eines Polizisten. Der Mann war selbst ins Visier seiner Kollegen geraten, weil er angeblich Dienstgeheimnisse an die Unterwelt verraten hat. Im Eilverfahren wurde eine Hausdurchsuchung angeordnet, die allerdings nichts ergab. Der Mann beschwerte sich daraufhin vor Gericht. Doch sowohl das Amtsgericht Rheinberg wie auch das Landgericht Kleve hatten keine Einwände gegen die Polizeiaktion. Der Verzicht auf einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss wurde erst gar nicht kontrolliert. Das sei eine Ermessensfrage der Staatsanwaltschaft, hieß es. Daraufhin ging der Polizist nach Karlsruhe und gab so dem Zweiten Senat Gelegenheit, einige Dinge zurechtzurücken.

Denn im Grundgesetz und in der Strafprozessordnung ist eindeutig vorgesehen, dass eine Wohnung nur mit richterlicher Genehmigung durchsucht werden kann. Der Richter soll als neutrale Instanz sicherstellen, dass die Polizei die Verhältnismäßigkeit wahrt und vorher auch genau erklärt, worin der Verdacht besteht und welche Gegenstände gesucht werden. Nur „bei Gefahr im Verzug“ können Staatsanwaltschaft und Polizei laut Gesetz sich selbst die Erlaubnis zur Durchsuchung geben. Damit soll aber lediglich vermieden werden, dass ein Verdächtiger Beweismittel beiseite schafft, weil die Polizei zu lange auf das richterliche Plazet warten musste. In der Praxis ist die Eilkompetenz der Sicherheitsbehörden allerdings zur Regel geworden. Der in der Gewerkschaft ÖTV aktive Bremer Richter Bernd Asbrock glaubt, dass 95 Prozent aller Durchsuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Damit soll jetzt aber Schluss sein. „Der Begriff ‚Gefahr im Verzug‘ ist eng auszulegen“, betonte gestern das Gericht. Die Sicherheitsbehörden müssen „regelmäßig zunächst versuchen, einen Richter zu erreichen“.

Zugleich wird jedoch auch an die Gerichte appelliert. Diese müssten sicherstellen, dass stets ein Ermittlungsrichter erreichbar ist und genügend Zeit hat, sich mit dem Fall zu beschäftigen. Nur als „Ausnahme“ soll es künftig zulässig sein, auf den richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu verzichten. Und ob ein solcher Eilfall tatsächlich vorlag, kann nun auch im Nachhinein gerichtlich überprüft werden, so das Verfassungsgericht. Deshalb müssen die Sicherheitsbehörden künftig in einem Vermerk „dokumentieren“, warum sie nicht auf einen richterlichen Beschluss warten konnten. Die gestrige Entscheidung dürfte die Zahl der Durchsuchungen nicht merklich verringern. Schließlich wird in der Praxis auch die Schutzwirkung des Richtervorbehaltes nicht allzu hoch eingeschätzt. In aller Regel genehmigen Richter die von der Polizei beantragten Maßnahmen. Zum einen haben sie ohnehin Informationsdefizite gegenüber den Ermittlern. Zum anderen gehen Richter aber auch Ärger mit der Öffentlichkeit aus dem Weg, wenn sie die Strafverfolger nicht allzu sehr behindern.

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