Engelen-Kefer: "Kurt Beck hat Recht"
Mit der Korrektur an der Agenda 2010 würde der SPD-Chef endlich auf die Stimmung bei den Wählern reagieren, meint Ursula Engelen-Kefer. Ihr Tipp: Als nächstes Thema sollte Beck sich Leiharbeit vornehmen.
taz: Frau Engelen-Kefer, Sie sind Mitglied des SPD-Vorstands. Was sagen Sie zu der eher widersprüchlichen Politik Ihres Parteichefs Kurt Beck? Erst war er gegen ein verlängertes Arbeitslosengeld I - jetzt ist er dafür.
Ursula Engelen-Kefer: Kurt Beck ist auf dem richtigen Weg. Wir hatten riesige Mitgliederverluste; wir haben die Landtagswahlen und die Bundestagswahl verloren. Die SPD muss wieder signalisieren, dass sie für die Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen einsteht.
Vizekanzler Müntefering sieht das anders. Ist er beschädigt?
Die Auseinandersetzung hat den Beteiligten nicht gut getan.
Beck und Müntefering suchen nun nach einem Kompromiss. Wie könnte der aussehen?
Müntefering könnte verlangen, dass nach ein paar Jahren überprüft wird, welche Effekte es hatte, das Arbeitslosengeld I für Ältere auf bis zu 24 Monate zu verlängern.
Ist das nicht ein bisschen wenig, damit Müntefering sein Gesicht wahren kann? Er droht damit, das "Fordern" auszubauen - indem etwa ältere Arbeitslose an einer Qualifizierung teilnehmen müssen.
Das ist ein sehr vernünftiger Vorschlag. Allerdings fehlt es bisher an ausreichenden Angeboten zur Weiterbildung. Es ist ja nicht so, dass sich alle Arbeitslosen weigern würden, etwas für ihre Qualifizierung zu tun - die Bundesagentur für Arbeit hat diese Maßnahmen eingespart. Diese Lücke muss geschlossen werden.
Ein denkbarer Kompromiss könnte doch auch sein, das verlängerte Arbeitslosengeld erst ab 50 Jahren zu zahlen - und nicht ab 45 Jahren, wie es Beck fordert. Was halten Sie davon?
Das wäre zwar besser als die jetzige Regelung, aber es wäre eine Verwässerung.
Laut Beck soll ja sowieso nur ein "Detail" der Agenda 2010 verändert werden.
Das sehe ich anders. Für die Menschen geht es nicht um Petitessen. Für sie handelt es sich beim Arbeitslosengeld I um einen Kernpunkt der rot-grünen Reformen. Denn innerhalb von 12, maximal 18 Monaten rutschen Arbeitslose in die Armut ab. Das betrifft jährlich mehr als 200.000 Menschen. Dies löst große Ängste aus, auch bei den Mittelschichten: 85 Prozent der Bevölkerung sind dafür, das Arbeitslosengeld I zu verlängern.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück fürchten, dass Beck seine Vorschläge zur falschen Zeit unterbreitet: Er zerstöre den Nimbus der Agenda 2010 genau in dem Moment, in dem viele Menschen glauben, die Reformen seien verantwortlich für den Aufschwung.
Beck hat genau den richtigen Zeitpunkt gewählt. Jetzt sind genügend Überschüsse bei der Bundesagentur vorhanden. Sie gehören den Beitragszahlern - nicht Finanzminister Steinbrück. Er will aus der Kasse der Beitragszahler 5 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt abzweigen. Die Überschüsse reichen aus, um sowohl die Beiträge zu senken wie auch ein verlängertes Arbeitslosengeld I zu finanzieren.
Nochmal zurück zur Frage: Torpediert Beck die Agenda 2010 nicht genau zum falschen Zeitpunkt? Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat gerade durch eine Befragung von Betrieben herausgefunden, dass immer mehr Arbeitslose bereit sind, gering bezahlte und niedrig qualifizierte Jobs anzunehmen.
Diese Deutung stellt nur die eine Seite dar. Denn zwei Dinge werden übersehen: Wenn höher Qualifizierte jeden Job akzeptieren, dann werden die Geringqualifizierten rausgedrängt und haben erst recht keine Chance. Zudem wird es teuer für den Staat, wenn Arbeitslose jeden Armutslohn akzeptieren müssen. Immer mehr Arbeitnehmer verdienen so wenig, dass sie ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen müssen.
Andere Ungerechtigkeiten nimmt die SPD-Basis aber ganz gelassen hin: Ab Januar werden Arbeitslose zwangsverrentet, die dann massive Abschläge bei der Rente hinnehmen müssen. Viele werden in Altersarmut stürzen, doch das regt in der SPD niemanden auf. Warum nicht?
Wir brauchen eine armutsfeste Rente. Aber leider ist das Thema noch nicht so medienwirksam wie das Arbeitslosengeld I.
Haben Sie einen Rat für Ihren Parteivorsitzenden, welche Symbolthemen er noch besetzen sollte?
Den Mindestlohn von 7,50 Euro - und die Leiharbeit. 2006 wurden 650.000 Leiharbeiter gezählt - das hat nichts mehr damit zu tun, Spitzen in der Produktion auszugleichen. Zudem verdienen mehr als 10 Prozent der Leiharbeiter so wenig, dass sie noch ergänzendes Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Dazu wird es auch einen Antrag auf dem Parteitag geben.
Apropos Parteitag: Wie sieht Ihre Prognose aus?
Die breite Mehrheit wird Kurt Beck unterstützen.
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