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Wirtschaftsministerin Katharina ReicheEnergisch, ostdeutsch, konservativ

Ohne Karenzzeit wird die Energiemanagerin Katherina Reiche Bundeswirtschaftsministerin. Wohin ihre Politik geht? Zurück zur fossilen Energie.

Die neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche auf dem Wirtschaftstag 2025 in Berlin Foto: Mike Schmidt/imago

Der größte Raum im historischen Dienstgebäude des Bundeswirtschaftsministeriums ist der Ludwig-Erhard-Saal. Katherina Reiche war gerade frisch vereidigt, als sie dort Anfang Mai ihre Antrittsrede vor ihren künftigen Mitarbeitern hielt. Mit zwei interessanten Momenten: Der eine betraf Robert Habeck, der andere Ludwig Erhard.

Der „schlechteste Wirtschaftsminister aller Zeiten“, in wirtschaftspolitischen Fragen „hilflos“, nur ein „Kinderbuchautor“ – ihr grüner Vorgänger wurde von der Union in den letzten Monaten mit Häme geradezu überschüttet. Reiche sagte aber „Dr. Robert Habeck“, „lieber Robert Habeck“ und bescheinigte dem scheidenden Minister eine „fast übermenschliche Leistung“.

Das hat viel mit jenem Job zu tun, den Katherina Reiche noch im April ausübte; sie war Chefin von Westenergie. Die Tochter des ehemals größten Fossilkonzerns Europas Eon betreibt auch das fast 37.000 Kilometer lange Erdgasnetz in Niedersachsen, weiten Teilen Nordrhein-Westfalens und Bayerns. Man kann sich den Schock vorstellen, als nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kein Erdgas mehr bei Westenergie ankam.

„Als Energieversorger auf der anderen Seite haben wir es nicht nur geschätzt – wir haben vertraut, dass wir das miteinander hinbekommen.“ Katherina Reiche sprach ihrem Vorgänger „meinen höchsten Respekt, meine Anerkennung“ aus.

„Versorgungs­sicherheit first!“

Das heißt nicht, dass Katherina Reiche einverstanden ist mit Habecks Politik. Im Gegenteil, in einem Interview erklärte sie: „Das bisherige Heizungsgesetz rekurriert mehr oder weniger auf eine Technologie. Es gibt de facto ein Betriebsverbot für Gasthermen, die vor 1991 eingebaut wurden. Zunächst müssen wir dieses Betriebsverbot abschaffen, um wieder Ruhe in den Markt zu bekommen.“

Auch das hat viel mit dem Job zu tun, der Reiche noch vor vier Wochen forderte: Je mehr in Wärmepumpen und Solardächer investiert wird, um so weniger wird die Gas-Infrastruktur noch genutzt. Die Kosten, um Rohrleitungen und Verdichterstationen zu betreiben, bleiben aber gleich, weshalb für weniger Kunden steigende Preise unerlässlich sind. Steigende Preise regen Verbraucher zum Umstieg an, mit bis zu 75 Prozent fördert das Habecksche Heizungsgesetz den Umstieg auf eine Wärmepumpe. Dass die Ex-Westenergie-Managerin genau das Gesetz als erstes kassieren will, hilft dem Konzern, dem ansonsten die Kunden wegrennen.

Zurück zur Antrittsrede und zu Ludwig Erhard: Fälschlicherweise wird Deutschlands erster Wirtschaftsminister als Begründer der sozialen Marktwirtschaft gesehen. Tatsächlich aber geht das Konzept auf den Ökonomen Alfred Müller-Armack zurück, der vor fast 80 Jahren die Grundzüge entwickelte. Vielleicht wollte Katherina Reiche glänzen. Vielleicht ist es aber auch ihre politische Überzeugung: Gleich zweimal zitierte Reiche Müller-Armacks Schriften und Prinzipien. Um dann festzustellen: „Ich bin kein Müller-Armack. Ich bin auch nicht Ludwig Erhard.“ Aber die Verantwortung dieses Ministeriums sei, „die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft so auszugestalten, dass sie in unsere Zeit passen“.

Was das bedeutet? „Wir müssen wieder mehr ermöglichen statt vorgeben“, erklärte Reiche. „Mit einer Politik, die nicht primär reguliert, sondern aktiviert und die Marktteilnehmer in die Eigenverantwortung nimmt.“ Das ist bemerkenswert, denn seit dieser Antrittsrede macht die neue Ministerin genau das Gegenteil.

„Versorgungssicherheit first!“, erklärte sie in ihrer ersten Regierungserklärung, und lieferte auch gleich mit, wie diese zu gewährleisten sei: Die Regierung müsse „mindestens 20 Gigawatt Gaskraftwerke“ ausschreiben, nur so lassen sich „bezahlbare Preise“ sicherstellen. „Die Energiepreise sind zu hoch“, sagte sie auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel, „wir müssen die Versorgungssicherheit wieder gewährleisten“, wozu neue Gaskraftwerke nötig seien. Klimaschutz sei zwar wichtig, erklärte sie auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum, „aber Versorgungssicherheit und Preisstabilität haben die gleiche Priorität.“

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD verabredet, in den nächsten fünf Jahren lediglich die Kapazität „von bis zu 20“ Gigawatt bauen zu wollen. „Derart viele neue Gaskraftwerke sind überdimensioniert und teuer“, urteilt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. Der Plan schaffe „gefährliche fossile Pfad-Abhängigkeiten und erhöht den Strompreis“.

Eine Konzernmanagerin, die aus der gut dotierten Wirtschaft in die Politik wechselt – Katherina Reiche ist nicht nur die erste Frau auf diesem Posten in der westdeutschen Geschichte, sie ist auch eine, die noch sozialistischen Staatsbürgerkunde-Unterricht in der Schule hatte. Aufgewachsen in Luckenwalde, einem 20.000-Einwohnerstädchen südlich von Berlin, hat die heute 51-Jährige in Potsdam Chemie studiert. 1992 wurde sie Mitglied im Landesvorstand der Jungen Union Brandenburg und 1996 Mitglied der CDU. Zwei Jahre später zog sie in den Bundestag ein.

Kette mit Jesuskreuz um den Hals

Um ihren Hals trägt Katherina Reiche stets eine Kette mit einem Jesuskreuz. Die rechtliche Gleichstellung Homosexueller verteufelte sie als „Angriff auf Ehe und Familie“, Gegner der Gentechnik bezeichnete sie als „Bioterroristen“, die Atomkraft als CO2-frei.

Energisch, ostdeutsch, konservativ – das brachte ihr schon einmal fast ein Ministeramt. 2002 holte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sie als Bundesfamilienministerin in sein Schattenkabinett. Das brachte die Kirche gegen die Union auf, die Ostdeutsche hatte gerade ein zweites uneheliches Kind zur Welt gebracht. Kölns Kardinal Joachim Meisner bezeichnete Reiches Nominierung sogar als „Demontage des christlichen Ehebildes“. Am Wahlabend fehlten Edmund Stoiber knapp 9.000 Stimmen zum Sieg über Gerhard Schröder (SPD).

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Vor der Geburt ihres dritten Kindes heiratete Katherina Reiche 2003 ihren langjährigen Lebenspartner, den CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke, dann doch; kirchlich natürlich. Andererseits nimmt es die neue Ministerin mit dem „bis der Tod Euch scheidet“ nicht so genau: Ihr neuer Liebhaber heißt Karl Theodor zu Guttenberg, der früher selbst mal Wirtschaftsminister war. Öffentlich wurde die neue Beziehung wenige Tage bevor Katherina Reiche zu seiner Nach-, Nach-, Nachfolgerin ernannt wurde.

2005 begann ihre politische Karriere so richtig Fahrt aufzunehmen. Reiche wurde als stellvertretende Fraktionsvorsitzende zuständig für Bildung, Forschung und Umwelt in der Union, 2009 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Schon damals war sie eher Wirtschafts- statt Umweltpolitikerin. Als die EU erstmals CO2-Grenzwerte für Pkw einführte, erklärte Reiche: „Das war nicht Klimapolitik, das war ganz klar Industriepolitik zu Lasten Deutschlands.“

2013 wurde Reiche dann Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Dort sorgte sie 2015 für einen Paukenschlag: Sie wechselte als Lobbyistin in die Wirtschaft. Damals löste das eine heftige Debatte über den Drehtüreffekt aus, die schließlich zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Karenzzeit für den Wechsel von Politikern auf Lobbyistenstühle führte – mindestens 12 Monate.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat offenbar kein Problem damit, dass die Erdgasmanagerin jetzt ohne Karenzzeit in die Politik zurück kehrt. 2021 war sie noch als „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihre Regierungserklärung begann Katherina Reiche mit dem Satz: „Viel hängt von der Wirtschaft ab.“ Die neue Bundeswirtschaftsministerin meinte das nicht als Drohung. Konsequenterweise ist ihr Haus nicht mehr für den Klimaschutz zuständig, auch die Transformationspolitik wurde aus ihrem Ministerium verlagert. Dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium ein E dazu bekommen – für die Energiepolitik. „Wir müssen uns anschauen, ob die Energiewende, so wie wir sie bislang gemacht haben, auf einem richtigen Weg ist“, erklärte die Ministerin. Das immerhin sollte als Drohung ernst genommen werden.

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1 Kommentar

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  • "20 Gigawatt Gaskraftwerke“ ausschreiben, nur so lassen sich „bezahlbare Preise“ sicherstellen. „Die Energiepreise sind zu hoch“,

    soso, als ehemalige Managerin sollte ihr das Merit Order Prinzip geläufig sein und wahrscheinlich weiß sie auch und sagt es nur nicht, dass die gestiegenen Strompreise genau dieser Kopplung an den Gaspreis geschuldet waren... dass die Gasversorgung nun nicht die krisensicherste Zukunft vor sich hat, dürfte auch eine Binse sein... Ein mehr an Gaskraftwerken, wird den Preis nicht senken, eher macht es die den Strompreis volatiler und in der nächsten Krise zeigt sich das dann in vollem Ausmaß... aber die Versorger werden in jedem Fall im Plus landen, gerade in der Krise.