Energiewende-Plan von Greenpeace: Für immer aussteigen
Greenpeace berechnet, wie Deutschland seine AKW abschalten und zugleich Klimagase verringern kann. Eine Million Arbeitsplätze könnten in der Öko-Branche entstehen.
BERLIN taz | Deutschland kann sein letztes Atomkraftwerk laut Berechnungen von Greenpeace im Jahr 2015 abschalten, ohne Strom importieren zu müssen. Und das soll auch klimafreundlich möglich sein: Bis 2040 lasse sich der Strombedarf ohne die treibhausgasintensive Kohle decken, heißt es in einem detaillierten "Fahrplan für die Energiewende", den die Umweltschutzorganisation am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
Vorübergehend soll unter anderem Erdgas die Lücke füllen, bis 2050 erneuerbare Energien auch diese Kraftwerke überflüssig machen. Konkret will Greenpeace schon 2011 die sieben ältesten Atomkraftwerke, das AKW Krümmel und das in einem Erdbebengebiet gelegene Neckarwestheim 2 mit einer Kapazität von 10,2 Gigawatt dauerhaft stillgelegt sehen.
Das würde weder dazu führen, dass in Deutschland die Lichter ausgehen, noch dass die Strompreise "signifikant" steigen, schreiben die Umweltschützer. Denn Deutschland produziere bislang viel mehr Strom, als es verbrauche. Außerdem baut Greenpeace darauf, dass in diesem Jahr Kraftwerke auf Basis erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne mit einer Kapazität von 7 Gigawatt ans Netz gehen werden. Zudem nehme die Energiewirtschaft nach Angaben ihres Verbandes BDEW in den kommenden Monaten ein neues Gas-Kraftwerk mit 530 Megawatt und ein Steinkohle-Kraftwerk mit 800 Megawatt in Betrieb.
Das zusammen sollte reichen, um die angenommene Spitzenlast von 80 Gigawatt "zu jeder Zeit im Jahr" zu decken, meint Greenpeace. Selbst an extrem windstillen Tagen und Nächten, wenn kaum Strom aus Wind- und Sonnenenergie zur Verfügung steht.
Ein bisschen teurer werde das allerdings schon, räumt Greenpeace-Experte Andree Böhling in seinem Plan ein. Schließlich ist Strom aus Erdgas oder Solarzellen kurzfristig immer noch teurer als aus alten, abgeschriebenen AKWs. Doch Greenpeace sagt voraus, dass die Haushalte durch die Stilllegung der sieben ältesten Reaktoren nur bis zu 2,5 Prozent mehr zahlen müssten.
Der Grund: Derzeit lieferten Atomkraftwerke lediglich 25 Prozent des Stroms, und die Erzeugungskosten machten weniger als 30 Prozent des Endpreises aus. Fraglich ist aber, ob die Kraftwerksbetreiber sich die Chance entgehen lassen, die Preise nicht noch weiter zu erhöhen.
Kohle ist nicht die Lösung
Selbst dann steht für Greenpeace fest: Kalkuliert man auch die Kosten für Altlasten und Steuerprivilegien der Atomindustrie ein, wäre Atomstrom heute rund 4 Cent pro Kilowattstunde teurer. Richtig kostspielig wird es, wenn ein Kraftwerk hochgeht. "Wenn wegen eines Unfalls ein Landstrich nicht mehr bewohnbar ist, ist das ein immenser Verlust", sagte der von Greenpeace eingeladene Michael Sterner vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik.
Und nach 2011? Bis 2015 gehen in dem Greenpeace-Szenario jedes Jahr zwei weitere AKWs für immer vom Netz. Die dadurch ausfallenden 11,29 Gigawatt sollen unter anderem 430.000 neue Solar-, 4.000 Windkraft- und 30 Erdwärmeanlagen kompensieren. Und 15 bereits geplante oder sich im Bau befindliche Erdgaskraftwerke und bis 2012 auch weitere Steinkohleanlagen. Doch Kohle, das ist Greenpeace klar, ist nicht die Lösung.
Deshalb will die Organisation bis 2030 die großen Elektrizitätswerke dieser Art abgeschaltet wissen. Zehn Jahre später wären dann auch die kleineren Anlagen auf Kohlebasis an der Reihe. Als Ersatz würden vor allem 18.170 Windräder im Meer und 2,8 Millionen neue Solaranlagen auf Dächern aufgestellt. Effizientere Kühlschränke und andere Einsparmöglichkeiten müssten die benötigte Strommenge bis 2030 im Vergleich zu 2008 um 12 Prozent senken. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte dafür einen Energie-Effizienzfonds, der über eine Milliarde Euro pro Jahr verfügen sollte.
Bleibt als einziger fossiler Energieträger noch das Erdgas. Ihn will Greenpeace bis 2050 fast völlig ersetzen - mit weiteren 20.650 Windkraft- und 1,66 Millionen Photovoltaikanlagen sowie zum Beispiel ein bisschen Biogas.
Kritiker wenden gegen den Atomausstieg oft ein, dass er den Klimaschutz erschwere. Greenpeace antwortet darauf: "Bis 2020 können die Klimagase mit Atomausstieg im Jahr 2015 sogar 46 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden." Die Energiewende lohnt sich laut Greenpeace aber auch wirtschaftlich: Bis 2030 werde Deutschland 300 Milliarden Euro weniger für Brennstoffe ausgeben müssen. In der Erneuerbaren-Energien-Branche würden bis zu eine Million Arbeitsplätze entstehen.
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