Energiepolitik: Sauberer Strom füllt die Stadtkasse
Stadtwerke gründen und die Strom-, Gas- und Fernwärmenetze von den Konzernen zurückkaufen ist der Trend. Dass das ökonomisch und ökologisch sinnvoll sowie finanzierbar ist, legt eine Tagung in Hamburg nahe.
Für Christian Maaß ist der Kurs klar: "Für den Umbau zu einer zukunftsfähigen Energieversorgung müssen jetzt die notwendigen Entscheidungen getroffen werden", sagt der grüne Staatsrat in der Hamburger Umweltbehörde. Klimafreundlich, möglichst sogar klimaneutral müssten Strom und Wärme künftig produziert werden. Deshalb sei es sinnvoll, die Steuerungshoheit über die Netze zu haben, sagt er. Die Privatisierungen von Energieunternehmen und Leitungen, wie sie viele Kommunen in der 1990er Jahren zur Haushaltssanierung vornahmen, sei ein Fehler gewesen. "Das wissen wir heute", sagt Maaß.
Und deshalb wird in vielen Kommunen in Norddeutschland wieder debattiert über die Gründung von Stadtwerken und die Re-Kommunalisierung von Versorgungsnetzen. Beides sei möglich und sinnvoll, ist das Ergebnis einer Tagung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Hamburg mit Vertretern von Stadtwerken, Handelskammern, der Politik und Umweltverbänden. Selbst die Hamburger Handelskammer hält das für eine Option, sei aber "noch nicht definitiv entschieden", sagt deren Abteilungsleiter Energie, Tobias Knahl.
Produktion und Vertrieb von Energie in kommunaler Trägerschaft habe vor allem drei Vorteile, erläutert Detlef Palm, Geschäftsführer Nord des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU). Solche Stadtwerke arbeiteten dezentral und verstärkt umweltfreundlich, trügen über Arbeitsplätze und Gewerbesteuern vor Ort zur regionalen Wertschöpfung bei, und Gewinne flössen in die Stadtkasse und nicht an anonyme Aktionäre, rechnet der oberste Repräsentant von 107 Stadtwerken in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vor: "Erforderlich ist nur der Mut, jetzt den entscheidenden Schritt zu tun und einen kommunalen Versorger zu gründen."
Hamburg prüft, drei Versorgungsnetze wieder in kommunale Hände zu überführen. Sie würden vermutlich von einem neuen Stadtwerk betrieben, wahrscheinlich unter dem Dach des Ökostromanbieters Hamburg Energie.
Fernwärmenetz: Es ist 1.200 Kilometer lang, 800 Kilometer davon sind im Besitz von Vattenfall. Der Konzern liefert 80 Prozent der Hamburger Fernwärme für rund 500.000 private und gewerbliche Kunden. Der CO2-Ausstoß von etwa einer Million Tonnen pro Jahr entspricht sieben Prozent der Gesamtemissionen.
Stromnetz: 27.000 Kilometer gehören Vattenfall, angeschlossen sind 1,1 Millionen Kunden. Der CO2-Ausstoß des Stromverbrauchs liegt bei 7,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht knapp 50 Prozent der Gesamtemissionen.
Gasnetz: Rund 7.000 Kilometer sind im Besitz von Eon Hanse. Die Zahl der Anschlüsse ist unbekannt. CO2-Ausstoß: 2,8 Millionen Tonnen pro Jahr machen knapp 20 Prozent aus.
Finanzierbar sei das über Kredite, sagt Palm, die das Stadtwerk aufnehmen und zurückzahlen müsse. Das könnte auch "eine sinnvolle Aufgabe" sein für die HSH Nordbank, die dereinst nicht zuletzt zur Finanzierung kommunaler und regionaler Infrastruktur gegründet worden ist. Immerhin schätzen Experten den Preis für das Strom- und Fernwärmenetz von Vattenfall (siehe Kasten) auf bis zu eine Milliarde Euro.
Dass sich der Rückkauf auszahlt, zeigt das Beispiel der Stadtwerke München (SWM). Dieses Unternehmen - nach den fünf Konzernen RWE, Eon, EnBW, Vattenfall und EWE sowie den Kölner Stadtwerken die Nummer sieben in Deutschland - ist weiterhin zu 100 Prozent in städtischer Hand und überweist pro Jahr etwa 200 Millionen Euro ins Münchner Stadtsäckel.
"Im Jahr 2008 hatten wir eine einzige Windkraftanlage in Betrieb", erläutert Geschäftsführer Thomas Meerpohl, "dann haben wir umgesteuert." Die Ziele lauten jetzt, bis 2015 alle Münchner Privathaushalte mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen, bis 2025 auch Industrie und Gewerbe. "Wir wollen als erste deutsche Großstadt und als erste Millionenstadt der Welt zu 100 Prozent auf Ökostrom umstellen", stellt Meerpohl klar. Dafür investieren die SWM bis 2025 jährlich 500 Millionen Euro in Wasserkraftwerke, Photovoltaik, Windenergie und nun auch in drei Offshore-Parks in der Nordsee. "Das zahlt sich aus", sagt Meerpohl, "ökologisch und ökonomisch."
Der "Dollpunkt" ist für Palm vom VKU die Unternehmensstruktur. Er kann sich auch eine Public-Private-Partnership mit Beteiligung eines Energiekonzerns vorstellen. Die Mehrheit und letzte Entscheidung aber müsse bei der Kommune liegen.
Gastgeber Manfred Braasch, Chef des Hamburger BUND, kann sich auch eine Genossenschaft oder Volksaktien vorstellen. Das sei in der Tat, bestätigt Umweltstaatsrat Maaß, "eine interessante Option". Denn dadurch ließen sich "drei Dinge generieren: Geld, Identifikation und öffentliches Bewusstsein".
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