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Energiepolitik unter Katherina ReicheNeue Ministerin für alte Wirtschaft

Die Ankündigungen von Ressortchefin Katherina Reiche (CDU) zeigen, wohin die Energiewende gehen soll: hin zu günstigem, fossilen Gas.

Katherina Reiche macht jetzt Wirtschaft Foto: Katharina Kausche/dpa

Berlin taz | Die neue Bundeswirtschaftsministerin ist erst wenige Tage im Amt, ihr Kurs ist aber bereits klar: „Wirtschaft – das heißt Wohlstand und Sicherheit“, erklärte Katherina Reiche (CDU) am Freitag in ihrer ersten Regierungserklärung. Die Wirtschaft müsse „nach Jahren der Rezession“ wieder wachsen. „Die Menschen wollen wachsen“, so die 51-Jährige im Bundestag. Wachstumskritik, Degrowth, Suffizienz? „Egal wie laut diese Stimmen rufen, sie haben keine Mehrheit“.

Das klingt nach dem uralten deutschen Geschäftsmodell mit der Formel „Billige Energie aus Russland plus Sicherheit durch die USA ergibt Exportweltmeister“. Aber: Garantierte Sicherheit durch die Vereinigten Staaten gibt es nicht mehr, auch kein billiges russisches Gas oder Erdöl. Für die „Sicherheit“ haben die Koalitionäre aber inzwischen die Schuldenbremse aufgehoben und eine halbe Billion Euro lockergemacht. Für günstige Energie fühlt sich ab sofort Reiche verantwortlich.

„Oberstes Ziel ist, Versorgungssicherheit zu garantieren, bezahlbare Preise sicherzustellen und die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu sichern“, erklärte die Brandenburgerin bei ihrem ersten Auftritt auf internationaler Bühne, dem EU-Rat für Wirtschaft und Finanzen in Warschau. „So wichtig der Ausbau der erneuerbaren Energien ist, so wichtig ist es, Systemsicherheit und Systemresilienz zu garantieren.“ Dabei verriet sie auch, wie Systemsicherheit geschaffen werden soll: mit einer „diversifizierten Gasversorgung“, also mehr Lieferungen beispielsweise aus Norwegen und den USA.

Mehr Gaskraftwerke sollen zudem „bezahlbare Preise“ für Energie sicherstellen und dann Strom liefern, wenn Wind und Sonne nicht verfügbar sind. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD verabredet, die Kapazität „von bis zu 20“ Gigawatt ausschreiben zu wollen. In einer Rede am Tegernsee erklärte Reiche sogar, dass die Regierung „mindestens 20 Gigawatt Gaskraftwerke“ ausschreiben müsse, um Versorgungssicherheit zu garantieren. Kritiker werfen ihr deshalb schon jetzt Lobbyismus zugunsten der fossilen Gaswirtschaft vor.

Politik für den Mittelstand

„Versorgungssicherheit first“, sagt die Frau, die vor einem Monat noch den Energiekonzern Westenergie leitete. Dieser ist eine 100-prozentige Tochter des ehemaligen Fossilkonzerns Eon. Dazu gehört auch Westnetz, ein Unternehmen, das mit einem 24.000 Kilometer langen Gasnetz eine der größten Infrastrukturen Deutschlands betreibt. Je mehr in Wärmepumpen und Solardächer investiert wird, umso weniger wird dieses Netz genutzt, weniger Kunden müssen für die steigenden Kosten zur Aufrechterhaltung aufkommen.

„Wir müssen uns anschauen, ob die Energiewende, so wie wir sie bislang gemacht haben, auf einem richtigen Weg ist“, sagte Reiche in ihren ersten Interviews als Ministerin. Die kennt sich gut in der Branche aus. Die Frau, die ein silbernes Jesuskreuz um den Hals trägt, war schon Staatssekretärin im Umwelt- und im Verkehrsministerium bevor sie 2015 als Cheflobbyistin in den „Verband kommunaler Unternehmen“ wechselte. Unter dem Dach des Verbandes haben sich viele Stadtwerke organisiert, die in Gaskraft investiert haben. Nach ihrem Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft wurden vor zehn Jahren Übergangsfristen eingeführt, um das Spiel der Lobbyisten zu erschweren.

Reiche sagt deutlich, für wen sie künftig Politik machen will: In der Regierungserklärung betonte sie, „den Mittelstand im Energiebereich“ entlasten zu wollen. Und: „Wir werden die Energiepolitik einem Realitätscheck unterziehen.“ Klimapolitik jedenfalls gehört nicht dazu, denn eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung war, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) per Organisationserlass aus dem Kanzleramt das K zu streichen: Klimaschutz hat ab sofort weniger mit Industriepolitik zu tun. Zuvor war bereits die Transformationspolitik aus dem Wirtschaftsressort ausgelagert worden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilte, die neue Ministerin Katherina Reiche (CDU) sei eine „Ministerin für die alte Wirtschaft“.

Man kann der SPD zugutehalten, dass sie den größten Quatsch verhindert hat, den die Union im Wahlkampf herausposaunte: eine Neuauflage der Atomstromproduktion, Fusionskraftwerke oder zurückgebaute Windparks, „weil Windräder hässlich sind“, wie es Kanzler Friedrich Merz vor dem Urnengang formulierte. „Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis zur Energiewende“, erklärt Nina Scheer, bislang klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Allerdings bremsen zu viele neue Gaskraftwerke den Umstieg auf Erneuerbare, statt ihn zu beschleunigen, betonen Kritiker.

In der Debatte am Freitag kritisierte der bündnisgrüne Andreas Audretsch diesen „Gasboom“. Wirtschaftswachstum gegen Klimaschutz auszuspielen sei der falsche Weg. Viele Auto-, Chemie- und Stahlhersteller hätten sich aufgemacht, ihre Produktion auf „klimafreundlich“ umzustellen. Audretsch forderte: „Gehen Sie diesen Weg weiter!“

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