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Energiegewinnung aus AbwasserUntenrum warm

Aus Abwasser lässt sich nachhaltig Energie gewinnen. Wir klären die Fragen zu einer noch unterschätzten Technologie.

Da werden die Finger warm: warmes Spülwasser darf Thermalquelle sein Foto: Jochen Tack/imago

Wie schön das ist: Man dreht einen Hahn auf, Wasser fließt heraus und spült alles Unliebsame fort. Mehrfach am Tag lösen wir unsere Probleme auf diese Art. Der Schweiß des Tages oder die Reste der Tomatensoße auf dem Teller – alles verschwindet im Abfluss. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Schade eigentlich, denn in unserem Flüssigabfall schlummert großes Potenzial. Je nachdem, welcher Studie man glaubt, könnten 5 bis 15 Prozent der in Deutschland benötigten Heizenergie aus Abwasser gewonnen werden. Abwasserenergie ist nachhaltig und wirtschaftlich, in Frankreich heizt sie gar den Élyséepalast. Hierzulande wird dieses Potenzial bisher kaum genutzt. Zeit also für einen tiefen Blick in den Gully.

1. Wie wird aus Abwasser nutzbare Energie?

Ob beim Duschen, Geschirrspülen oder beim Wäschewaschen, stets fließt warmes Wasser in die Kanalisation ab. Das Abwasser in deutschen Kanälen ist so im Schnitt 10 bis 20 Grad warm, sowohl im Sommer als auch im Winter. Doch wie kann man die darin enthaltene thermische Energie auch sinnvoll verwenden? Hier kommt die Abwasser-Wärmepumpe ins Spiel.

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Eine klassische Wärmepumpe saugt Umgebungsluft an. Für die Nutzung von Abwasserwärme benötigt man Wärmetauscher. Dabei handelt es sich um Metallplatten, mit denen beispielsweise die Kanalisationsrohre ausgekleidet werden. Von ihnen gehen Leitungen ab, die mittels einer wärmeübertragenden Flüssigkeit die Wärme des Abwassers zu einer Wärmepumpe transportieren. Diese setzt die Wärme in Energie um.

Anschließend wird die abgekühlte Flüssigkeit zurück zu den Wärmetauschern geleitet, wo der Prozess von vorne beginnt. Auf diese Weise können Schwimmbäder, Krankenhäuser oder ganze Wohnkomplexe beheizt werden.

2. Wo kann so Energie gewonnen werden?

Vom heimischen Abfluss aus nimmt unser Abwasser seinen Weg durch die Kanalisation, gelangt schließlich zu einem Klärwerk, wo es aufwendig gereinigt und schließlich wieder in die Gewässer der Umgebung geleitet wird. An jeder Station dieses Weges ist es möglich, dem Abwasser Wärme zu entziehen.

Am simpelsten geht das zu Hause, direkt am Siphon, etwa mithilfe spezieller Ablaufrinnen in der Dusche. Der Energiegewinn hält sich dort allerdings in Grenzen. Für eine effektive Nutzung braucht es größere und stetige Durchflussmengen. Wirksames Energierecycling findet deswegen dort statt, wo größere Mengen Abwasser zusammenkommen.

Hier stehen zwei verschiedene Methoden zur Auswahl. Entweder zapft man die Abwasserwärme im Kanalnetz ab. Dazu werden Wärmetauscher entlang der Abwasserrohre verlegt und mit einer Wärmepumpe im Gebäude darüber verbunden. So können Gebäudekomplexe mit Energie versorgt werden, die direkt im Boden unter ihnen entsteht.

Oder, zweite Möglichkeit: Man holt sich die Energie an den Klärwerken. Das hat den Vorteil, dass größere Energiemengen gewonnen werden können als in der Kanalisation, weil das gesamte Wasser eines Einzugsgebiets gesammelt verarbeitet wird. Allerdings sind nicht alle Klärwerke in der Nähe beheizbarer Gebäude.

3. Ist das alles Zukunftsmusik, oder wird das schon irgendwo gemacht?

Bereits heute wird Energie aus Abwasser gewonnen. Bisher handelt sich dabei allerdings eher um einzelne Projekte als um eine flächendeckende Strategie. In Köln wurden Wärmetauscher in drei Schulen und in einem größeren Wohnkomplex verbaut. Etwa fünfzig weitere Projekte stadtweit seien bereits angefragt, sagt Ingo Schwerdorf von den Kölner Entwässerungsbetrieben. Dort beschäftigt man sich bereits seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema. Ähnliche Projekte gibt es auch im Ruhrgebiet, in Berlin, Stuttgart oder Bamberg.

Auch die Herangehensweise, Wärme direkt am Klärwerk zu entziehen, wird in naher Zukunft zum Einsatz kommen. In Abwasserwerke in Hamburg und Berlin werden zurzeit riesige Wärmepumpen eingebaut, die ab 2026 insgesamt etwa 84.000 Wohnungen mit Abwasserenergie versorgen sollen.

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Insgesamt seien wir in Deutschland „bisher noch in der Entwicklungsphase“, so Uli Paet­zel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft (DWA). Bisher seien nur einzelne Modellprojekte umgesetzt, das Volumen der Energiegewinnung bisher noch bescheiden. „So richtig beginnt die Umsetzung erst ab 2027“, sagt Paet­zel.

Im Ausland ist man da schon weiter. Etwa in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz ist Abwasserwärmenutzung bereits verbreiteter als hierzulande. In Frankreich hat die Technologie so viel Prestige, dass sogar das Präsidialamt und das Parlament mit Abwasserwärme beheizt werden.

4. Die Technik ist nicht neu. Warum findet der Ausbau erst jetzt statt?

Tatsächlich ist eine Anlage im schweizerischen Basel schon seit 1985 in Betrieb, in Bochum wird seit 2008 ein Schwimmbad mit Abwasserwärme beheizt und auch die Abwasserbetriebe Köln beschäftigen sich nach eigenen Angaben schon seit zehn Jahren mit diesem Thema. Die Technik ist also schon lange erprobt. Dennoch blieb es lange bei wenigen Modellprojekten, die Abwasserwärme lag im Dornröschenschlaf. Nicht zuletzt, weil CO2-Sparen lange keine Priorität war, und es auch finanziell keinen großen Anreiz zum Sparen gab.

Größere Aufmerksamkeit erreichte das Thema dann erst in den vergangenen Jahren – durch die Energiepreiskrise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. „Ohne den Anstieg der Energiepreise wäre die Technik vermutlich ein Nischenprodukt geblieben“, sagt Uli Paet­zel. „Alle in Deutschland haben sich zu lange auf den günstigen Preisen ausgeruht, auch wir in der Wasserwirtschaft.“

Das kommunale Wärmeplanungsgesetz schreibt vor, dass alle Kommunen bis 2045 klimaneutral heizen müssen. Bis 2028 sind sie verpflichtet, Pläne dazu vorzulegen. „Dafür müssen wir vielerorts auf Wärmepumpen umsteigen“, sagt Volker Quaschning, Wissenschaftler für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin. „Wärme aus der Luft zu gewinnen ist allerdings in manchen Gebieten schwierig, etwa in dicht besiedelten Städten“, so Quaschning. Deswegen habe in jüngerer Zeit auch die Energiegewinnung aus Abwasser eine größere Aufmerksamkeit gewonnen.

5. Wo lohnt sich die Energiegewinnung aus Abwasser?

Die Entfernung zwischen Wärmetauschern und Ort der Energienutzung sollte relativ kurz sein, idealerweise nicht mehr als 400 Meter. Grund dafür sind die benötigten Leitungen. „Längere Leitungen zu bauen, wäre teuer und die Energienutzung dann nicht mehr wirtschaftlich“, sagt DWA-Chef Paet­zel. Siedlungsnahe Klärwerke sind daher besonders gut geeignet.

Neben der Nutzung vor Ort ist es aber auch möglich, die Energie ins Fernwärmenetz einzuspeisen und so über weitere Entfernungen nutzbar zu machen. Bisher fehlt es allerdings in der Regel an der Infrastruktur. Aktuell sind nur circa 15 Prozent der deutschen Haushalte ans Fernwärmenetz angeschlossen, und das vor allem in städtischen Regionen. So liegt der Anteil an mit Fernwärme versorgten Haushalten in Berlin bei etwa 37 Prozent, demgegenüber in Rheinland-Pfalz nur bei 5 Prozent.

Ein geringeres Potenzial liegt in der Nutzung der Wärme aus der Kanalisation. Damit es sich lohnt, die Wärmetauscher im Kanal unter zu beheizenden Gebäuden zu verbauen, muss der Kanal nämlich genug Abwasser führen. Das Gebäude darüber sollte zudem einen möglichst hohen Energiebedarf haben. So eignen sich etwa große Schulen, Sporthallen, Krankenhäuser oder Bürokomplexe. Die Entwässerungsbetriebe stellen dann das Kanalnetz zur Verfügung, und mögliche Abnehmer – öffentliche wie private – melden sich bei den Betrieben, um für ihre Gebäude Wärmetauscher verlegen zu lassen.

Einige Kommunen und Abwasserbetriebe haben dafür bereits digitale Karten angefertigt, in denen öffentlich einsehbar ist, wo Kanäle verlaufen, die für das Wärmerecycling infrage kommen. Köln, Stuttgart, Berlin, Bochum und Essen sind bereits dabei.

6. Was muss politisch geschehen, damit wir dieses Potenzial heben?

Dass der Ausbau nur langsam anläuft, liegt, so Uli Paet­zel, zum einen an bürokratischen Schwierigkeiten: In Deutschland sind unterschiedliche Akteure für das Abwasser zuständig – Abwasserbetriebe, Stadtwerke, Kläranlagen –, und die Aufteilung dieser Zuständigkeitsbereiche ist noch dazu regional verschieden. Gute Bedingungen für eine Skalierung sehen anders aus.

Und dann ist da noch der Markt. Denn leider reicht es nicht aus, eine gute Idee und die passende technische Lösung zu haben. Wer Abwasserenergie nutzen will, stößt auf die Tücken der Energiebürokratie und auf juristisches Neuland. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat Ende 2024 die Initiative NRW.Energy4Climate auf den Weg gebracht, die Frage einheitlicher Rahmenbedingungen werde derzeit geprüft, so eine Sprecherin des dortigen Wirtschaftsministeriums zur taz. Sobald dies geschehen ist, könnte Abwasserenergie in Deutschland systematisch erschlossen werden. Nordrhein-Westfalen will bis zum Jahr 2030 erst einmal den Wärmebedarf von 50.000 Haushalten mit Abwasserenergie decken. Bis 2045 sollen es 200.000 sein.

An der Wirtschaftlichkeit oder den technischen Möglichkeiten werde der Ausbau nicht scheitern, sagt Wasserwirtschaft-Verbandschef Paet­zel. Er ist sich sicher, dass sein Metier durch die ökologische Transformation an Bedeutung gewinnen wird: „Abwasser wird in Zukunft ein wichtiger Faktor in der Energiewende werden.“ Dann mal ab unter die Dusche!

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6 Kommentare

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  • Ich befürchte eine Milchmädchenrechnung.

    Im Abwasser sind Fette und Schmutzpartikel gelöst. Reduziert man nun die Temperatur, in dem man dem Wasser die Energie entzieht, verfestigen sich Fette und Schmutzpartikel. Mit dem Ergebnis, dass die Rohre wohl öfters manuell gereinigt werden. Der selbe Effekt ist heute schon zu sehen, weil durch unser eifriges Wassersparen die Rohre nicht mehr ordentlich gespült werden.

    • @Mopsfidel:

      Das ist aber jetzt sehr deutsch: Immer nur die (in diesem Fall vernachlässigbaren Probleme) sehen, nie die Chancen.

      • @mumba:

        Und das ist sehr "ökolinks": Die real auftretenden Probleme vernachlässigen...



        Anlässlich der Planung meines solarautarken Hauses (Anfang der 1990-er) habe ich mich auch mit Wärmerückgewinnung aus Abwasser beschäftigt, und die Finger davon gelassen.



        Sehr wohl habe ich aber eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung. Luft ist weniger dreckig, da geht das mit vertretbarem Aufwand.

    • @Mopsfidel:

      Die Milchmädchenrechnung stellen hier ja eher Sie auf. Während der Artikel gut belegt, dass die Technik bereits langjährig in mehreren Ländern im Einsatz ist, sehen Sie grundsätzliche unlösbare Probleme.

      Warum Sie diese Probleme sehen, die in der Praxis offenbar nicht auftreten, ist mir auch nicht klar: Der Artikel stellt ja heraus, dass der bevorzugte Ort für Abwasserwärmepumpen Kläranlagen sind. Das Wasser, das am Ende die Kläranlage verlässt, sollte halbwegs frei von Fett und Schmutzpartikeln sein.

      Insofern klingt das doch nach einer viel versprechenden Technik, deren Potential wir unbedingt heben sollten. Auch, wenn sie sich sicher nicht an jeder Kläranlage einsetzen lassen wird (auch das wird im Artikel deutlich).

      • @Karl Schmidt:

        "Die Technik" gibt es nicht. Sie ist von den örtlichen Umständen abhängig.



        Wärmerückgewinnung aus Abwasser ist in Einzelfällen sinnvoll, je nach Schmutzgehalt, nahegelegener Abwasserquelle und nahegelegenem Wärmebedarf. Aber sie ist keine Wundertechnologie.



        Und am Ausgang von Kläranlagen ist wenig zu holen, da hat das Wasser schon wieder weitgehend Umgebungstemperatur...

        • @sollndas:

          Der ausgewogene Artikel beschreibt es doch ganz gut: Die Technik hat in Deutschland das Potential, 5 bis 15% unseres Wärmebedarfs zu decken. Eine Wundertechnologie ist das also nicht, aber selbst 5% sind eine ganze Menge und es gibt überhaupt keinen Grund, dieses Potential nicht zu heben.

          Lesen die Nörgler hier überhaupt die Artikel, die sie kommentieren?