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Endzeitstimmung bei Amiga

■ LP-Angebot für das Frühjahr läßt wenig Freude aufkommen / Werden jetzt die Regale geräumt? / Frohe Botschaften - AG „Geige“ und „Skeptiker“ legen Debüt-LP vor /Homunkulus Quartett-Single ist tot

Was wird aus Amiga? Eine Frage, die heute weder Musiker noch Plattenfreaks sonderlich zu interessieren scheint. Die einen sehen sich schon seit einiger Zeit lieber im Westen nach Produktionsterminen um, die anderen haben den Konsumschock beim Blick ins Wom (World of music) am Ku'damm überlebt und legen ihre sauer getauschte D-Mark in Platten an, die sie schon immer haben wollten, aber nie kriegen konnten.

Um die Perspektive des hierzulande einst allmächtigen Labels für Rock & Pop machen sich zur Zeit vor allem dessen Mitarbeiter Gedanken. Nachdem dem langjährigen Chef von Amiga, Dr. Rene Büttner, kürzlich gekündigt worden ist (er kehrte unterdessen zu seinen Wurzeln zurück und zieht als promovierter Mathematiker ein Investment-Büro auf), treibt der sinkende Unterhaltungs-Dampfer steuerlos durch die Strudel und Untiefen der Medienbranche. Manch Redakteur versucht, noch von Bord zu springen, andere spielen ihren Part weiter, wie einst auf der „Titanic“. Immobilienmakler sichten indessen schon mal die Amiga-Redaktionsräume im Palais am Reichstagsufer...

Egal, aller viertel Jahre wird der Presse per klingendem Beispiel der erfüllte Quartalsplan vorgestellt. 28 Langspielplatten sollen von März bis Mai in den Handel kommen. Einige davon erwecken den Anschein, als seien sie in den hinteren Regionen des Archivs ausfindig gemacht worden, um jetzt per Schlußverkauf auf den Wühltisch geworfen zu werden.

Doch es gibt durchaus noch frohe Botschaften von Amiga zu überbringen: Die erste LP der „Skeptiker“ ist endlich da, viel zu spät, aber dennoch zeit-geistig voll auf der Höhe. Auf „Harte Zeiten“ sind sage und schreibe 17 Titel zu hören, darunter die fulminanten „Erkennungsmelodien“ der Band „Dada in Berlin“ und „Deadend Town“.

Ebenfalls mit dem Stigma der „anderen Band“ versehen, legt die „AG Geige“ jetzt ihre Debüt-LP „Trickbeat“ vor. Kennern der exentrischen Kapelle aus Karl-Marx-Stadt muß das Vinyl nicht weiter empfohlen werden, und Liebhaber von weichgespültem Mainstream-Pop werden beim Abhören dieser Scheibe ohnehin die Nerven verlieren. Also nicht viele Worte, nur ein Tip: Unbedingt den Wertheim-Mix von „Maximale Gier“ auflegen!

Vor Jahresfrist ließen „Die Zöllner“ in ihrer Big-Band -Besetzung bei Publikum und Kollegen aufhorchen. Endlich ist es Amiga gelungen, das Destillat der Soul-Pop-Show in Rillen zu pressen. Die vorliegende LP ist ein Kompromiß, weist doch das Produkt lange nicht alle Intentionen und Ideen der Macher um Dirk Zöllner und Andre Gensicke aus.

Für sein Lizenz-Programm hat Amiga diesmal einige interessante, obgleich mittlerweile recht angestaubte Werke herausgekramt: „Graceland“ von Paul Simon, Tracy Chapmans Debüt-LP und „Labyrinthe“ von Guesch Patti (ja, ja, das ist die Dame, die sich so leidenschaftlich nach ihrem „Etienne, Etienne“ verzehrt). Wer es softer mag, kann nach Matt Biancos Tanzbodenfeger „Whose side are you on“ über das Parkett swingen.

In der Grauzone zwischen Pop und Schlager bewegt sich die Gruppe „Karat“ mit ihrem jüngsten Opus “...im nächsten Frieden“, bei dem sie laut Werbetext „ihrem erprobten Erfolgsrezept treu geblieben sind“. Nah an der Selbstparodie ist für mich die im Gespann mit Maffay eingespielte unsägliche Neuaufnahme ihres Oldies „Über sieben Brücken...“. Schluchzende Violinen und Vokalisten lassen das Schmalz nur so tropfen.

Im Oktober vergangenen Jahres wurden die Aufnahmen einer neuen Kinderlieder-Platte mit Gerhard Schöne zurückgestellt, um im Frühjahr mit aktuellen Liedern zur Lage präsent zu sein. Heute hört sich ein „Lied von der zu früh aufgestandenen Wahrheit“ wie von vorgestern an. Dennoch ist es gut, ab und an daran zu denken, daß wir mit den Füßen noch im Vorgestern stecken, wenn sich die Hände nach dem Übermorgen recken.

Die rechten Klänge für tanzwütige Jungs und Mädels bietet die „Oyster Band“, bei uns noch in bester Erinnerung vom 89er Polit-Festival - „Pub-musik“ erster Güte! Verrückte Schifferklaviere spielen auf „Accordions go crazy“ auf, der LP einer 1985 aus Übermut gegründeten internationalen Truppe, die einen scharf gewürzten musikalischen Eintopf aus französischen Walzern, Cajun-Klängen, englischem Rock und griechischem Syrtaki bietet.

Das waren 11 aus 28 Angeboten. Eine gute Quote? Wohl kaum, auch wenn man einräumt, daß Amiga nicht nur die Rock-Fans bedient, sondern überdies die Schar der Heimatliederfreunde und Operettenexperten im Auge, respektive im Ohr haben muß. Was auf diesen Sektoren im Frühjahr geboten wird, soll hier keine Rolle spielen. Nur soviel: Heino ist (noch?) nicht dabei.

Abschließend ist ein Homunkulus zu beerdigen: Die Quartett -Single ist tot. Acht Mark zehn für vier schlappe Titel haben den Etat wirtschaftlich rechnender Plattenkäufer schon immer über Gebühr strapaziert, aber für einen bis dato unerreichbaren Pop-Helden konnte man's schon mal berappen. Nun winken bei Hertie die Billig-Sampler von Ariola. Den passenden Abgesang auf die Quartett-Single zelebriert auf eben dieser eine vier-Mann-Formation namens „Die Körper der Einfalt“: „Ihr macht den Dreck, wir machen ihn weg, wir machen sauba, sauba, sauba...“

Frank Junghänel

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