Endspurt der Klimaverhandlungen: High Noon in Paris
Die Konferenzleitung legt den Klimavertrag vor. Jetzt heißt es: so gute Stimmung machen, dass keiner eine Ablehnung wagt.
Sie werden von der Versammlung mit stehenden Ovationen empfangen. Der Raum „Seine“ auf dem Messegelände von Le Bourget ist eine einfach Halle, Stahlgerüste an der tonnenförmigen Decke, helle Holzstühle vor einfachen weißen Tischen, aber die Seitenwände sind dramatisch rot angestrahlt. Die Szene ist bereitet für den Showdown von Paris, am 12.12. um 12 Uhr mittags.
Die Regie der französischen Präsidentschaft hat nichts dem Zufall überlassen. Denn am hoffentlich letzten Tag der UN-Klimakonferenz ist nun „Crunch Time“ wie die Verhandler sagen: die Zeit der Entscheidung. Der endgültige Klimavertrag soll dem Plenum vorgelegt werden.
Gruppendruck und gute Stimmung
Der Plan: Es wird nicht mehr verhandelt. Die Konferenz muss entscheiden, ob sie das Kompromisspapier akzeptiert, wenn sich das Plenum kurz vor vier Uhr am Nachmittag wieder trifft. Dann kommt es darauf an: Stellen sich einzelne Länder quer? Kippt die Stimmung im Saal, wenn Bremser ihre Bedenken vortragen und einen einmütigen Beschluss in Frage stellen? Es gibt dafür nur ein Gegenmittel: Begeisterung unter den Delegierten, Gruppendruck, gute Stimmung im Saal.
Dafür ist Laurent Fabius zuständig. Der französische Außenminister und Präsident der Konferenz betritt um 11:55 die Bühne. Ein paar Minuten vor ihm haben auf dem breiten Podium relativ unbemerkt Frankreichs Präsident Francois Hollande und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Platz genommen. Aber als Fabius mit müdem Gesicht und Augenringen seinen Platz einnimmt, erheben sich die Delegierten zu langem Applaus.
Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.
Fabius, so die verbreitete Meinung unter den Delegierten, hat einen großartigen Job gemacht: Die Vertreter von 195 Staaten mit Umsicht und Fingerspitzengefühl durch die Tage geleitet, Kompromisse ausgelotet, offen für alle Seiten und sogar fast im Zeitplan. Eine Sternstunde der französischen Diplomatie. Nun soll eine Sternstunde der internationalen Klimadiplomatie folgen. Neben Fabius sitzt Francois Hollande im grauen Anzug, hinter ihm Umweltministerin Ségolène Royal im blauen Blazer. Im Dreigestirn der französischen Sozialisten hat Fabius immer den kürzeren gezogen.
„Ein historischer Wendepunkt“
Heute ist sein Tag. Heute ist er Präsident. Und er hält eine engagierte Rede: „Dieses Abkommen ist differenziert, fair, ehrgeizig, ausgewogen, dynamisch und verbindlich“, sagt er. Es habe alles, was gefordert werde: eine Erwähnung des 1,5 Grad-Ziels, Finanzzusagen für die Armen, Gerechtigkeit, die Anerkennung unterschiedlicher Rechte und Pflichten. Aber natürlich müssten alle Kompromisse machen.
Geschickt nimmt Fabius all die Formulierungen auf, die den Staaten wichtig sind: „Klimagerechtigkeit“, „grüne statt rote Linien“, er erwähnt Afrika, Lateinamerika, die Inselstaaten und er verspricht auch Hilfe für die Staaten, deren Wirtschaft von Kohle und Öl abhängt. „Das ist ein historischer Wendepunkt“, sagt Fabius, der immer wieder vom Beifall unterbrochen wird. Die Mitglieder der „High Ambition Coalition“ leisten lautstarke Unterstützung.
Danach kommen der UN-Generalsekretär und Francois Hollande. Auch sie beschwören „alle Mann an Deck“, wie Ban Ki Moon sagt, den Interessen der Einzelnen sei durch gemeinsame Aktion am besten gedient. Und auch sie stimmen die Delegierten auf etwas Großes ein, an dem sie teilhaben: Einen „historischen Moment“, wie ihn Hollande nennt, „einen großen Schritt für die Menschheit“. Er sei stolz darauf, dass dieses Abkommen in Paris getroffen werde, das „vor fast genau einem Monat angegriffen wurde“.
Dann sollte der Text eigentlich verteilt werden. Aber er ist noch nicht fertig, sagt Fabius. In allerletzter Minute hat China noch eine Änderung in das Papier schreiben lassen, heißt es hinter den Kulissen. Fabius nimmt es französisch locker: „Der Text kommt in einer Stunde. Bis dahin sollten wir alle etwas essen gehen.“
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