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DAS MENSCHLICHE GENOM IST ENTSCHLÜSSELTEnde des Scheinfriedens

Diese Woche ist es so weit. Die drei Milliarden Buchstaben des menschlichen Genoms werden veröffentlicht. Bis vor kurzem wurde noch darüber gerätselt, welches von den beiden altehrwürdigen Wissenschaftsmagazinen, Science oder Nature, das Rennen macht. Jetzt können beide die Ehre für sich in Anspruch nehmen. Derweil wird durch die parallele Veröffentlichung eines ganz deutlich: Der Wissenschaftlerkrieg zwischen dem auf Profit ausgerichteten Sequenzierunternehmen „Celera“ und dem internationalen „Human Genome“-Konsortium ist wieder aufgeflammt.

Erinnern wir uns: Mit lautem Paukenschlag und anhaltendem Trommelwirbel verkündete US-Präsident Bill Clinton im Juni vergangen Jahres im Washingtoner Weißen Haus, die einstmals zerstrittenen und konkurrierenden Genomprojekte hätten sich geeinigt und würden ihre Daten nun gemeinsam publizieren. Ein Scheinfrieden, wie sich jetzt herausstellt. Zwar hatten führende Mitarbeiter des mit öffentlichen Geldern finanzierten Genomprojekts plötzlich Kreide im Mund, wenn sie über den Celera-Chef Craig Venter sprachen. Hinter verschlossenen Türen jedoch wurde schon wenig später wieder heftig gestritten. Denn Craig Venter hatte nicht die Absicht, seine Daten frei für jedermann zu veröffentlichen und ins Internet zu stellen, wie von den Forschern des Human Genome Project immer wieder gefordert worden war.

Venter will, so wie jeder andere Unternehmer auch, mit seiner Firma Geld verdienen. Und das ist nun mal nicht vereinbar mit einer uneigennützigen Offenlegung aller Sequenzierdaten. So wird im Wissenschaftsmagazin Science auch nicht alles zu finden sein, was in Venters Supercomputer abgespeichert ist. Darüber wiederum ist das Genomkonsortium verärgert. Aus diesem Grund auch hat es sich im letzten Moment von Science abgewandt und Verhandlungen mit Nature aufgenommen.

Das Wissenschaftsmagazin Science wird künftig mit der Kritik leben müssen, dass es einen tiefen Knicks vor dem Mammon gemacht hat, als es Venters Bedingungen für die Veröffentlichung angenommen hat. Galt doch bisher der Grundsatz, dass eine wissenschaftliche Publikation immer alle Daten enthalten muss. Dieser Grundsatz wurde gerade von den beiden renommierten Zeitschriften sehr hoch gehalten.

Science hat mit der Annahme der Celera-Veröffentlichung zum ersten Mal bewusst gegen diese Linie verstoßen. Zu befürchten ist, dass dies nicht nur ein Ausrutscher ist, sondern dass in Zukunft die Geheimniskrämerei zum Alltag eines Wissenschaftlers gehört. WOLFGANG LÖHR

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