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Ende der Veranstaltung

Schulen müssen ihren Anstaltscharakter ablegen, sonst bleiben sie Museumsstücke der sterbenden Industriegesellschaft. Auch die Rolle der Lehrer ist eine andere, wenn Schulen sich für ihre Umwelt öffnen und Orte gesellschaftlicher Teilhabe werden    ■ Von Warnfried Dettling

Das Elend der Schule lässt sich auf einen einfachen Begriff bringen: Sie wird betrieben als staatliche Veranstaltung, nach staatlichen Lehrplänen, mit staatlichem Personal, lebenslänglich angestellt, und das Ganze unter staatlicher Aufsicht. Das war ja auch einmal ein Fortschritt, weil so mehr Gleichheit und Aufklärung in die Gesellschaft kamen und der Einfluss von Kirche und Ständen zurückgedrängt wurde.

Heute sind in dieser staatlichen Anstalt Betroffene und Beteiligte vor allem durch den Austausch von Frust, Ressentiments und gegenseitigen Vorwürfen miteinander verbunden. Die Schule ist zu einer fremden und entfremdenden Einrichtung geworden, die keine ihrer Aufgaben erfüllt: die pädagogische nicht und nicht die soziale, von der Vorbereitung auf die veränderte Welt des 21. Jahrhunderts ganz zu schweigen – ein Monument ihrer selbst, ein Museumsstück der alten Industriegesellschaft. Die Bildungsanstalten von damals haben ja nicht zufällig gewisse Gemeinsamkeiten mit der äußeren und inneren Architektur anderer Anstalten wie Kasernen oder Fabriken: Sie alle waren nach draußen abgeschottet, und drinnen standen sich zwei Gruppen gegenüber: Lehrende und Lernende, Vorgesetzte und Ausführende, Experten (Priester) und Laien, Wissende und Unwissende, Mündige und Unmündige. Schulen waren abgeschlossen von ihrer sozialen Umwelt – und drinnen herrschten Hierarchie, Zucht und Ordnung.

Alles ändert sich – nur die Schule bleibt gleich

Während nun alle möglichen Einrichtungen, Betriebe und Behörden, Parteien und selbst Armeen dabei sind, sich tiefgreifend zu ändern, bleiben Schulen hartnäckig, was sie einmal geworden sind. Der Betrieb läuft ab wie gehabt. Wen eine Zeitmaschine aus einem frühindustriellen in einen heutigen Betrieb katapultierte, der würde sich nicht mehr zurechtfinden. Schüler und Lehrer dagegen wüßten ziemlich rasch, in welchem Stück sie auftreten. Dabei haben sich die Bedingungen der Schule geändert und ihre Möglichkeiten und Aufgaben auch: Die Schule hat faktisch kein Monopol mehr auf die Wissensvermittlung. Kinder wissen oft mehr als die Eltern, Schüler mehr als die Lehrer. Neue Formen des Teleunterrichts ermöglichen es, in einem Raum und zur gleichen Zeit die einzelnen Schüler in all ihrer Verschiedenheit, in ihren Begabungen oder Schwächen besser zu würdigen.

Lehrer werden deswegen nicht weniger wichtig, es ändert sich aber ihre Rolle. Sie sind nicht mehr jene, die alles besser wissen und vorsagen und Antworten einsammeln, sie werden mehr zu Moderatoren und Animateuren und, im sokratischen Verständnis der Mäeutik, zu „Hebammen“, die die Potentiale anderer Menschen ans Licht bringen. Sie könnten sich dann mehr Zeit nehmen für Aufgaben, die ihnen niemand abnehmen kann: Zusammenhänge aufzuzeigen; Orientierung zu vermitteln; vielleicht sogar Vorbild zu sein. Das alles setzt aber voraus, die Schule in anderer Perspektive zu sehen und zu gestalten.

Der Wandel läßt sich einfach beschreiben, aber, in Deutschland zumal, nur schwer realisieren. Es wäre der Übergang von einer staatlichen Einrichtung zu einem gesellschaftlichen Projekt; von einer geschlossenen Anstalt zu einem offenen Netzwerk; von einer Verlängerung des Kultusministeriums zu einer gemeinsamen Angelegenheit von Eltern und Lehrern, Schülern und Politikern und anderen local leaders aus der Bürgergesellschaft vor Ort, Verbündete alle in einer gemeinsamen Sache: einer lebendigen und guten Schule. Es wäre, mit einem Wort, eine Entstaatlichung ohne Privatisierung.

Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Aber anfangen könnte man ja schon einmal. Indem zum Beispiel jede Schule zwanzig Prozent ihres Budgets zur freien Verfügung bekommt; indem Schulleiter nicht mehr gegen den Willen eines neuen „Schulrates“ eingesetzt werden können (gemeint ist damit nicht der Gesandte der Obrigkeit, sondern ein demokratisches Gremium, das Teilhabe möglich macht); indem Lehrer künftig nur noch auf Zeit eingestellt werden. Aber vor diesen Änderungen zu einer demokratischen, offenen und öffentlichen Schule stehen vor allem mentale Blockaden, die lange und kräftig eingerastet sind. Öffentliche Verantwortung für Schulen muss ja nicht heißen, sie als staatliche Anstalten zu betreiben.

Mehr Wettbewerb kann und darf nicht heißen, soziale Ziele aufzugeben, man kann Konkurrenz sogar so organisieren, dass das Soziale zielgenauer erreicht wird. Die massivsten Blockaden freilich sind die Folgen jener guten Absichten, welche Bildung und soziale Gerechtigkeit vertrauensvoll in die Hände des Staates gelegt – und sich dann weiters nicht mehr darum gekümmert haben. Dass unter dem Leichentuch staatlich gewollter Gleichheit sich allzu oft keinerlei Leben mehr regt, dafür alte und neue Privilegien wachsen und sich organisierte Verantwortungslosigkeiten breit machen, das gehört zu den schmerzlichen Erfahrungen und deshalb sorgfältig gehüteten Tabus der offiziellen Bildungspolitik. Und es ist fast unmöglich, die steinernen Verhältnisse wenigstens etwas zum Tanzen zu bringen.

Eine Neuorientierung verlangt den Abschied von den falschen Alternativen mehr oder weniger Staat, Eigeninitiative oder soziale Gerechtigkeit, Staat oder Privatisierung; sie verlangt einen aktivierenden Staat, der in Menschen und Strukturen investiert: Im 21. Jahrhundert muss für Bildung mehr Geld aus unterschiedlichen Quellen auf andere Weise ausgegeben werden. Vor allem verlangt eine Neuorientierung den politischen Blick von unten, aus der Perspektive der Gesellschaft und ihrer Akteure. Schulen könnten Orte werden, die Chancen und Ressourcen und nicht Resignation und Ressentiments mobilisieren.

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