Ende der Maskenpflicht in Geschäften: Die Vorsicht siegt am „Freedom Day“
Seit Freitag muss in Berlin beim Einkaufen kein Mund-Nasen-Schutz mehr getragen werden. Trotzdem tun das die meisten Kund*innen. Eine Reportage.
Zwar hat auch sie die Schilder im Laden abgenommen, die während der Coronapandemie auf die Maskenpflicht hinwiesen. Doch es wäre ihr lieber, wenn ihre Kunden weiterhin einen solchen Schutz tragen würden. „Die Inzidenzzahlen sind immer noch hoch, aber plötzlich muss man keine Maske mehr tragen, das verstehe ich nicht.“
Damit ist die Bäckerin nicht allein. Doch trotz 7-Tage-Inzidenzen von über 1.000 in der Stadt hatte auch der Berliner Senat am Dienstag entschieden, die meisten Corona-Schutzmaßnahmen auslaufen zu lassen. Grund dafür ist das vor zwei Wochen vom Bundestag verabschiedete überarbeitete Infektionsschutzgesetzes.
Nur noch Basisschutz
Nach dem Senatsbeschluss müssen sich die Berliner*innen zwar noch an einige Basisschutzmaßnahmen halten. Dazu gehören etwa die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen sowie in Arztpraxen, Krankenhäusern, Tageskliniken und Pflegeeinrichtungen. Doch die Maskenpflicht beim Einkaufen und in Schulen sowie die 3G-Regel bei Restaurantbesuchen und Hotelübernachtungen ist seit diesem Freitag aufgehoben.
Nicht in allen von der taz besuchten Geschäften sind die Kund*innen aber derart in Feierlaune angesichts des vermeintlichen Freedom Days wie in der Friedrichshainer Bäckerei. „Ich würde sagen, nur ungefähr 15 Prozent unserer Kunden tragen keine Masken“, berichtet der Filialleiter des nahe gelegenen Penny-Discounters.
Erneut sind die Corona-Inzidenzen in Berlin und Brandenburg leicht gesunken. In Berlin wurden in den vergangenen sieben Tagen knapp 916 Neuinfektionen auf 100.000 Menschen gemeldet. Das geht aus Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Freitag hervor. Mitte der Woche lagen die Werte zum Teil deutlich über 1.000. Berlin hat damit weiterhin die niedrigste Zahl aller Bundesländer. Bundesweit liegt die Wochen-Inzidenz für Neuinfektionen laut RKI bei rund 1.586. In Brandenburg lag die Wochen-Inzidenz bei knapp 1.125. Mitte der Woche betrug der Wert noch mehr als 1.200. (dpa)
Auch die Rewe-Filiale in der Pasteurstraße in Prenzlauer Berg ist an diesem Freitagmittag schon gut besucht. In den vergangenen zwei Jahren bildeten sich vor dem Geschäft, das stets nur so viele Menschen reingelassen hat, wie Einkaufswagen zur Verfügung standen, oft lange Schlangen. Mit der „verkaufsflächenbezogenen Kundenzahl“ und der Maskenpflicht entfällt hier ab heute jedoch auch die Wartezeit. Am Eingang steht kein Security-Personal mehr; wer nur ein paar Kleinigkeiten kaufen will, kann das jetzt auch ohne Korb tun.
Die „Hygienestation“ vor der Obst- und Gemüseabteilung nutzen die meisten trotzdem noch. Zwei Kundinnen desinfizieren die Griffe ihrer Einkaufswagen, „aus alter Gewohnheit“, sagt die eine; „weil die Pandemie noch nicht vorbei ist“, die andere. Wie auch alle anderen Kund*innen tragen beide eine FFP2-Maske über Mund und Nase. Im Zeitungsregal vor der Kassenzone liegt der Tagesspiegel aus, der mit „Der große Leichtsinn?“ titelt. Die politischen Entscheidungen mag das treffend beschreiben, bei den Einkaufenden ist von Leichtsinn bislang jedoch keine Spur.
Auch im „Denns Biomarkt“ auf der Greifswalder Straße ist von der großen Wende der Corona-Politik noch nichts zu sehen. Im Fenster hängt weiterhin das Schild, das auf die Maskenpflicht hinweist, und auch im Laden mag noch keiner von seiner neugewonnenen Freiheit Gebrauch machen: An der Kasse, hinter der Käsetheke in den Gängen tragen Kund*innen wie Mitarbeitende ausnahmslos einen Mund-Nasen-Schutz.
Adelheid Kirsch, eine zierliche Frau mit braunem Haar und Wollmütze, hat mitbekommen, dass sie das eigentlich nicht mehr müsste: „Ich bin noch unentschlossen“, sagt sie zwischen den Regalen mit den Konserven, „heute lasse ich sie nochmal auf.“ Sie habe sich bisher nicht mit dem Virus angesteckt, „und eigentlich möchte ich mir das auch ersparen.“
Etwas weiter die Straße runter in der Greifswalder Apotheke bleibt es bei freundlichen Apellen. „#Unverzichtbar“, steht auf einem Schild am Eingang, „wir bitten Sie herzlich, weiterhin in der Apotheke eine Maske zu tragen.“ In Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern ist der Mund-Nasen-Schutz zwar weiterhin gesetzlich vorgeschrieben, Apotheken gehören jedoch zum Einzelhandel, auch wenn hier potentiell Infizierte sowie Vulnerable ein und ausgehen.
Man wolle deshalb weiterhin darauf hinweisen, dass die Maske dem eigenen Schutz und dem anderer diene, erklärt eine Mitarbeiterin. „Bislang hat sich jeder dran gehalten“, sagt sie. Für eine Bilanz, wie das mit der Eigenverantwortung klappe, sei es jedoch einfach noch zu früh.
Im Buchladen „Buchbox“ ist das Infektionsrisiko auch deswegen gering, weil um diese Uhrzeit nur zwei Kundinnen im Laden sind. Auf dem Boden kleben abgetretene Pfeile, ein Relikt aus zwei Jahren Infektionsschutz: Sie sollen verhindern, dass Kundinnen sich zu nahe kommen beim Stöbern zwischen Reiseführern und Belletristik.
An diesem Freitagmorgen sei noch niemand ohne Maske da gewesen, sagt eine Mitarbeiterin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Sie würde sich wohler fühlen, wenn die Maskenpflicht weiter gelte. Durchsetzen wollen sie die hier aber nicht: „Wir haben intern darüber gesprochen, das über das Hausrecht zu regeln“, erzählt sie, „aber das würde uns einfach zu viele Diskussionen einbringen.“ Ein Schild mit der Bitte, weiterhin eine Maske zu tragen, wollen sie heute noch in die Tür hängen.
Die Chefin der Friedrichshainer Bäckerei Süß ist sich derweil sicher, dass die Abschaffung der Maskenpflicht noch nicht das letzte Coronakapitel ist. Sie sei sich sicher, dass die Pflicht nach dem Sommer wieder eingeführt werde und fragt sich, wie sie dann den Leuten erklären soll, dass sie in ihrem Geschäfft eine Maske zu tragen haben. „Ich kann verstehen wenn die Leute sich von der Politik verarscht fühlen.“
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