KOMMENTAR: Ende der Isolation
■ Die Rückkehr Albaniens nach Europa ist auch mit Gefahren verbunden
Wenn noch vor Monaten viele Albaner den Reformversprechungen der Kommunistischen Führung kaum Glauben schenkten und die Flucht in ausländische Botschaften dies dokumentierten, so wird die Zahl der Zweifler jetzt geringer geworden sein. Mit den Beschlüssen des ZK wurde das Machtmonopol der Partei aufgegeben und der Machtkampf an der Spitze zugunsten der Reformcrew um Ramiz Alia entschieden. Indem das ZK fünf Politbüromitglieder und zwei Kandidaten dieses Gremiums abgesetzt hat, wurde der konservative Parteiflügel von der Macht verdrängt. Alia, der schon seit Anfang des Jahres behutsam den Reformprozeß einleitete, hat nun freie Hand, die von ihm angestrebte Demokratisierung der Partei und der Gesellschaft durchzusetzen. Daß er sich sogleich zu den noch am Sonntag zusammengeprügelten Studeten begab, um die Beschlüsse bekanntzugeben, zeugt von seiner Ernsthaftigkeit.
Doch andererseits ist Alia nicht angetreten, die Macht der Kommunisten, die wohl wie in anderen Ländern auch bald zu Sozialisten mutieren werden, aus der Hand zu geben. Die Wahlen schon im Februar anzusetzen, ist ein Trick, denn der Termin gibt Oppositionellen wenig Raum, glaubwürdige Konkurrenzparteien aufzubauen. Die Diktatur der Apologeten der reinen marxistisch-leninistischen Lehre, die Hunderttausende von Opfern forderte, hat alle oppositionellen Regungen und damit alle organisaorischen Kerne von Opposition jahrzehntelang zerstört. Angesichts dieser Situation kann Alia den Wahlen beruhigt entgegensehen und sich und seine Politik legitimieren lassen.
Daß Alia nicht nur im Lande stark sein wird, sondern auch bei den albanischen Minderheiten in Jugoslawien — wo mehr Albaner als in Albanien leben — über großes Ansehen verfügt, wird aber nicht nur von Vorteil für ihn sein. Denn nach den gerade bei den Wahlen in den jugoslawischen Republiken Serbien, Mazedonien und Montenegro sichtbar gewordenen Diskriminierungen sind die jugoslawischen Albaner erstmals mehrheitlich bereit, in der Vereinigung mit Albanien eine politische Perspektive zu sehen. Die von den albanischen Führern in Jugoslawien wie auch von Alia gebrauchte Formel, die Einigung Deutschlands sei ein Vorbild für die Albaner, zeigt gegenseitiges Verständnis an. Die Öffnung des Landes nach außen enthält somit zugleich eine gefährliche Dimension, denn vor allem Serbien wird derartigen Wünschen nach einem Großalbanien mit allen Mitteln entgegentreten. Erich Rathfelder
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