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Ende der Fahnenstange bei der Erdbebenhilfe

■ Nach massiver Kritik tritt der Vorstand des türkischen „Roten Halbmonds“ zurück. Die Regierung hatte ihm eine zentrale Rolle bei der Verteilung der Katastrophenhilfe zugewiesen

Istanbul (taz) – Nachdem vor sechs Wochen bereits der langjährige Chef des türkischen „Roten Halbmonds“, die hiesige Dependance des „Roten Kreuzes“, seinen Hut nehmen mußte, ist am Wochenende der gesamte 28-köpfige Vorstand seinem Beispiel gefolgt und hat kollektiv den Rücktritt erklärt. Man habe die anhaltende Kritik an der Arbeit des Roten Halbmonds nicht mehr länger hinnehmen wollen und deshalb Platz für einen neuen Vorstand gemacht, der nun Ende November gewählt werden soll, hieß es.

Tatsächlich gehört der Rote Halbmond zu den am heftigsten kritisierten Institutionen der Türkei seit dem Erdbeben am 17. August dieses Jahres. Wann immer in der Folge des Erdbebens etwas nicht klappte, war ganz sicher der Rote Halbmond daran beteiligt. Das begann schon in der Unglücksnacht. Türkische Tageszeitungen berichteten, die vermeintliche Katastrophenorganisation hätte gar keinen Notdienst gehabt und habe es auch nicht für notwendig befunden, von ihrer sonstigen Routine abzuweichen. Unter anderem auf das Versagen das Roten Halbmonds ist es zurückzuführen, dass vom Erdbeben zerstörte kleinere Städte tagelang nicht mit Lebensmitteln versorgt wurden und die obdachlos gewordenen Einwohner unter freiem Himmel nächtigen mussten. Als dann endlich nach Tagen die ersten Zelte eintrafen, entpuppten sich die meisten als wahre Antiquitäten, die selbst einem leichten Sommerregen nicht standhielten.

Wirklich fatal wurde es jedoch, als sich herausstellte, dass die vermeintlichen Anfangsfehler auch in den folgenden Wochen und selbst Monaten nicht behoben wurden. Etliche der löchrigen Zelte, die natürlich auch nicht beheizt werden können, stehen immer noch als Unterkunft für Familien in der Erdbebenzone, obwohl es mittlerweile nachts bitter kalt ist, es oft regnet und die Zeltplätze sich in Schlammkuhlen verwandeln.

Vor allem eine Entscheidung der Regierung in Ankara hat sich als schwere Belastung herausgestellt. Um der Kritik vorzubeugen, es gäbe Unregelmäßigkeiten, hat die Regierung Ecevit die gesamte Nach-Katastrophenhilfe zentralisiert und versucht nun über von Ankara gelenkte Krisenzentren, Hilfe und Wiederaufbau zu steuern. Ein wichtiges Instrument dabei sollte der Rote Halbmond sein. So hat man örtliche, oft gesellschaftliche Initiativen, aber auch Engagement von Kommunen zurückgedrängt und deren Arbeit dem Roten Halbmond übertragen, mit dem Ergebnis, dass nichts mehr klappte.

Traditionell ist der Rote Halbmond eine Pöstchen-Organisation für abgehalfterte Politiker. Entsprechend effektiv arbeitete der Verein. Als es Reportern des privaten Fernsehsenders ATV im September gelang, im Zentrallager des Roten Halbmonds verdeckt zu filmen und sie dort massenhaft verrottete Lebensmittel, Arzneien, deren Haltbarkeitsstempel längst überschritten war und Maschinen fanden, die die Verantwortlichen zurückhielten, statt sie schnellstens in die Erdbebengebiete zu schaffen, war das Ende der Fahnenstange erreicht: Kemal Demirer, der Vorsitzende, musste gehen. Das sein Vorstand ihm jetzt folgt ist nur konsequent. Jürgen Gottschlich

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