„Ende Gelände“-Protest in der Lausitz: Erfolg für die Antikohle-Logistiker
Tausende haben Tagebauanlagen und ein Kohlekraftwerk in der Lausitz besetzt. Sie kamen mit Dixi-Klos und Shuttle-Service.
Rund 400 Menschen in weißen Ganzkörperanzügen stehen jetzt, aufgestellt zu einem Block, bereit. Ein Shuttle-Service aus acht Reisebussen hat sie soeben in dem kleinen Ort Terpe in Brandenburg, nahe dem Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe, abgesetzt. Und dann ziehen sie los auf die Schienen, vorbei am Ortsausgangsschild von Terpe. Darauf steht: „Glückauf“. Der Gruß der Kohlearbeiter.
45 Minuten später ist der zentrale Schienenknoten, über den das brandenburgische Energiekraftwerk Schwarze Pumpe mit Braunkohle aus den umliegenden Tagebauten beliefert wird, von einer Blockade betroffen.
Zwei besetzte Schaufelradbagger. Eine besetzte Verladestation. Ein von einer Betonpyramide blockiertes Gleis. Eine von Kletteraktivisten besetzte Brücke. Und schließlich ein Sturm auf das Kraftwerksgelände selbst, bei dem einige an den Türen zur Schaltleitzentrale rütteln: Insgesamt rund 3.000 Menschen haben am Wochenende das Kraftwerk vom Kohlenachschub abgeschnitten.
Eine historische Blockade
Als am Samstagnachmittag die Blockaden seit teilweise über 24 Stunden stehen, hat die Anlage ihre Leistung bereits gedrosselt. Von den zwei Kühltürmen dampft nur noch einer. Betreiber Vattenfall wird später vermelden: Nur die zusätzliche Energieerzeugung durch starken Wind verhindert an diesem Wochenende einen Energieengpass in der Region.
Erst am Sonntagnachmittag, als die Aktivistinnen aus ganz Europa ihre Blockaden nach über 48 Stunden beenden und die Polizei die letzten von ihnen schließlich doch räumt, normalisiert sich die Situation. Es war eine historische Kraftwerksblockade. Sie hat eine lange Vorgeschichte und wurde organisiert von einer jungen europäischen Klimabewegung, die sich vor allem auf eines versteht: Logistik.
Break Free 2016 heißt die globale Kampagne, zu der als größte Veranstaltung auch die Proteste in der Lausitz gehörten. Vom 3. bis zum 15. Mai beteiligten sich laut Organisatoren weltweit über 30.000 Menschen an 20 Aktionen auf sechs Kontinenten.
In Wales besetzten 300 Aktivisten letzte Woche Ffos-y-fran, den größten Kohletagebau des Vereinigten Königreiches.
Auf den Philippinen forderten 10.000 Demonstranten den Ausstieg aus der Kohle.
In Neuseeland besetzten Hunderte die ANZ-Bank, die klimaschädliche Projekte finanziert.
In Australien blockierten Kajakfahrer den weltweit größten Kohlehafen in Newcastle.
In den USA, Brasilien, Indonesien und der Türkei liefen weitere Protestaktionen.
Ebenfalls an diesem Samstag, einige Stunden später, setzt wenige Kilometer vom Örtchen Terpe entfernt ein großer Jubel ein. Hier, an der Verladestation zwischen Tagebau und Kohlekraftwerk, haben sich bereits am Freitag Hunderte Klimaaktivisten eingerichtet.
Oben auf dem Turm der Dutzende Meter hohen Anlage haben französische Umweltaktivistinnen ihr Quartier aufgeschlagen. Darunter ruhen Besetzer aus Schweden, Tschechien und Polen, versteckt hinter provisorisch errichtetem Windschutz und Transparenten. Und unten, zwischen den Gleisen, wo sich am Boden zentimeterhoch feinster Kohlestaub angesammelt hat, liegen einige hundert auf Isomatten und Strohsäcken im Staub. Sie tragen Mundschutz. In ihren Nasen- und Augenwinkeln, in ihren Ohrmuscheln hat sich porentief Staub abgesetzt.
Lieferservice frei Haus
Nun, am Samstag um 17.14 Uhr, klatschen und jubeln sie alle. Gerade treffen zwei frische Dixi-Toiletten ein. Ein Transporter bringt sie auf einem Anhänger. Auch an Essen mangelt es ihnen nicht. Alle paar Stunden kommt das Logistikteam aus dem Protestcamp mit Nachschub in großen Töpfen: Für all die Hunderte, die da draußen irgendwo das Kohlekraftwerk blockieren, die Schienen oder den Tagebau gibt es am Wochenende den Lieferservice frei Haus: warme Pastinakencremesuppe, Rote-Beete-Salat. Manche sagen, was hier geboten wird, tauge als Reisepaket – bei Neckermann Adventures.
Denn es gibt ja nicht nur Angebote in Sachen Aktivurlaub, es gibt hier für alle auch die Chillout-Arena: In einem hellblauen Zelt in dem Protestcamp bei Proschim, wo es WLAN und Vollverpflegung gibt, hat das Welcoming-Team eine Lounge eingerichtet. Dort liegen Kissen und Decken auf dem Boden bereit, der Empfangsschalter ist mit frischen Blumen dekoriert. Es fehlen hier nur die organisierten Fußmassagen, aber da legen die Aktivistinnen und Aktivisten gegenseitig Hand an. Entspann dich, du kannst das.
Dass die Stimmung an diesem Pfingstwochenende beim mutmaßlich größten Basisgruppentreffen von Klimaaktivistinnen lange so außerordentlich entspannt war, hatte einen Grund: Polizei und der Betreiber Vattenfall ließen sie zwei Tage lang bei fast allem, was sie taten, gewähren.
Offenbar sollte sich nicht wiederholen, was sich bei einer Vorgängeraktion im August 2015 im Tagebau Garzweiler ereignet hatte. Dort hatten sich der Werkschutz von RWE und die Polizei mit den Besetzern heftige Auseinandersetzungen in der Tagebaugrube geliefert und sich damit viel öffentliche Kritik eingehandelt – auch weil die Polizei sich teils in RWE-Fahrzeugen durch die Gelände fahren ließ.
Und so empfing auch der Vattenfall-Konzern die Besetzer dieses Mal mit liberaler Pose: Die Betreiberfirma hatte die Arbeiten im Tagebau Welzow-Süd bereits vorsorglich eingestellt und ihre Mitarbeiter angewiesen, freundlich und kooperativ mit den anrückenden Umweltaktivisten umzugehen. Das taten sie, sofern sie im Dienst waren, auch tatsächlich. Und doch waren viele von ihnen offensichtlich fassungslos über den Verlauf der Besetzung.
„Von allen im Stich gelassen“
Stephan Kliesch, 32, arbeitet als Hilfsgerätefahrer am Tagebau Welzow-Süd. Er steht an diesem Pfingstsonntag am Fuße einer besetzten Gleisbrücke und blickt zu den Besetzern hoch. „Wir“, sagt Vattenfall-Arbeiter Kliesch, „werden hier einfach von allen im Stich gelassen: von der Polizei, von der Landesregierung und auch von Vattenfall.“
Sein Arbeitgeber will die Kohleförderung, von der in der Region Tausende Arbeitsplätze abhängen, beenden und das zunehmend unrentable Geschäft mit dem fossilen Brennstoff abstoßen. Dafür will Vattenfall dem neuen Besitzer sogar noch 1,7 Milliarden Euro zusätzlich zahlen. Kliesch sagt: „Diese Aktivisten pissen und scheißen hier auf unsere Geräte. Die können hier machen, was sie wollen. Da bist du einfach verloren.“
Ein paar Meter hinter ihm stehen noch andere Anwohner, darunter ein Mann mit einer Glatze, der einen Elektroschocker in der Hand hat. Ein Klimaaktivist will gerade mit seinem Auto den Parkplatz verlassen. Der Mann hält seinen Elektroschocker vor das Auto und betätigt ihn. Es surrt. Dann sagt er zu dem Klimaaktivisten: „Leg den Rückwärtsgang ein.“ Und das tut der Klimaaktivist in seinem roten Transporter dann auch. Schließlich ist ja keine Polizei da.
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