Emil Nolde war ein Antisemit: Ein modernistischer Nazi
Ein Nationalsozialist, dessen Kunst als „entartet“ galt: Eine Ausstellung in Berlin belegt die Wandlungen in der Deutung des Malers Emil Nolde.
Wie kann es sein, dass ein so faszinierender Expressionist wie Emil Nolde ein bekennender Nationalsozialist war, der nach 1945 pauschal als Verfolgungsopfer „der Nazis“ anerkannt wurde? Diese Frage ist nicht neu, wird aber nun mit neuen Belegen aufgeworfen. Sie reicht tief in die Differenz zwischen Künstlermythen und der Realität der Künstlergeschichte vor dem Hintergrund der mangelnden Verarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland.
Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatten politisch verfolgte Demokraten wie der Maler Karl Hofer oder der Kunsttheoretiker Adolf Behne auf die Nazi-Weltanschauung Noldes hingewiesen, der im Entnazifizierungsverfahren 1948 als „entlastet“ eingestuft wurde. Schließlich avancierte er posthum zum Staatskünstler der Bundesrepublik, wurde von Bundeskanzler Schmidt verehrt. Seine Bilder hingen im Kabinettssaal und bis vor Kurzem in den Amtsräumen von Bundeskanzlerin Merkel.
Gezeigt wird dies in einer präzisen Aufarbeitung in der Ausstellung im Hamburger Bahnhof Berlin als Geschichte einer „deutschen Legende“, wie es im Titel heißt: „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“. Möglich ist dies seit dem Generationenwechsel, der nach dem Tod der zweiten Frau Noldes im Jahr 2010 erfolgte.
Der neue Direktor der Nolde Stiftung in Seebüll und einer der Kuratoren der Ausstellung, Christian Ring, öffnete den teilweise ungeordneten Nachlass von Ada und Emil Nolde für die Forschung. Aus Briefen und Dokumenten, die bei seinem Vorgänger bewusst nur ausgewählt zugänglich waren, ist nun überzeugend belegt, wie die Entwicklung des Malers während des Dritten Reiches und danach verlief.
Spindoktor in eigener Sache
Nolde vermochte es als Spindoktor in eigener Sache, das bis heute einflussreiche Bild von sich selbst mitzuprägen. Von niemand wird dessen großartige künstlerische Befähigung infrage gestellt, aber die verbreitete Sehnsucht des Publikums, dass ein Künstler auch als Person moralisch „gut“ sein soll, wird von dieser Ausstellung enttäuscht.
Die Ausstellung konzentriert sich auf ausgewählte Bilder zu Stationen im Weg des 1867 geborenen Malers: vor 1933, während des Nationalsozialismus und nach 1945. Zwei der Kuratoren, der Historiker Bernhard Fulda und die Kunsthistorikerin Aya Soika, haben sich in einem Forschungsprojekt eingehend mit dem Narrativ Noldes beschäftigt.
Für einen nationalsozialistischen Modernismus
Der Aufstieg zu einem führenden Modernisten in der expressiven Phase um 1910 erfolgte mit biblischen Themen, die bis 1933 einen Teil seines Werkes ausmachen, ferner mit Bildern des Meeres und dem Spiel der übermächtigen großen Wogen sowie der norddeutschen „Heimat“. Sein „Sonnenblumenbild I“ von 1928 wurde im Juli 1933 in der Ausstellung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in der Galerie Ferdinand Moeller gezeigt.
Diese jungen Nationalsozialisten kämpften für einen nationalsozialistischen Modernismus als künftiger Kunst des „Dritten Reiches“ mit Nolde als väterlicher Kultfigur. Sie verehrten ihn wegen der „Ursprünglichkeit“ seines Ausdrucksvermögens, zumal er aus „dem Bauerntum“ stammte.
Für ein Deutschland ohne Juden
Goebbels notierte am 2. Juli 1933 während des noch offenen Richtungsstreits: „Ist Nolde ein Bolschewist oder ein Maler.“ Als politisch stärker erwies sich in diesen Wochen die akademisch orientierte kulturkonservative Mehrheit unter den Nationalsozialisten. Nachdem Hitler öffentlich gegen die Modernisten auftrat, wurde Nolde sukzessive aus dem staatlichen Kunstbetrieb ausgegrenzt, blieb jedoch bis 1945 im privaten Kunsthandel so präsent, dass er während des Nationalsozialismus über ein außerordentlich hohes Einkommen verfügte.
Bis 15. September, Hamburger Bahnhof Berlin
1933 muss Nolde einen „Entjudungsplan“ für Deutschland entworfen haben, wie sich aus Briefstellen folgern lässt. Er distanzierte sich vom Christentum, weil dieses jüdischen Ursprungs sei, und fand im Nationalsozialismus seinen Glauben. Er malte bis in die fünfziger Jahre keine christlichen Themen mehr. Als zahlreiche seiner Werke 1937 in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt wurden, erhielt dies die Wirkungsmacht einer offiziellen Ausgrenzung. Nach seiner Intervention mit Verweis auf seine Parteimitgliedschaft bei Goebbels wurden seine Bilder bei den weiteren Stationen der Ausstellung nicht mehr gezeigt.
Die Stärke des „arischen“ Blutes
Nolde malte nun Heldengestalten der Wikinger und mythische Kultszenen mit „heiligem Feuer“. 1940 sprach der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, ein Berufsverbot gegen ihn aus. In dieser Phase malte der Mitsiebziger kleine, ausdrucksstarke Aquarelle. In der Ausstellung kann man in Briefen Noldes an seine Frau Ada aus dieser Zeit nachlesen, in welch starkem Maß er in nationalsozialistischen Wertmustern der Stärke des „arischen“ Blutes dachte.
In der Nachkriegszeit wurden diese Aquarelle von Werner Haftmann in dessen Buch über „Die ungemalten Bilder“ (1958) unter dem damals üblicher werdenden, aber irreführenden Begriff „Malverbot“ umgedeutet. Nachdem Nolde im Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz mit einem fiktiven, unzutreffenden Szenario als von der Gestapo überwacht dargestellt wurde, setzte sich das Narrativ eines Verfolgten „der Nazis“ durch. Die Empathie für den „verfolgten“ Künstler hatte falsche Bezüge: Es handelte sich in Wahrheit um einen Richtungsstreit unter Nationalsozialisten über die NS-Kunst.
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