Elektromobilität im Norden: Lautlos rollt der E-Bus
Seit zwei Jahren testet Hannover Elektrobusse. In den nächsten fünf Jahren soll die Busflotte komplett auf Elektro umgestellt werden
Elke Karmann-Ave sitzt am Steuer. Sie parkt ihren Bus neben einer großen, schwarzen Säule. Jetzt muss es schnell gehen. Auf dem Dach des Fahrzeugs fährt sie per Knopfdruck einen metallischen Arm aus, der sich automatisch in den Lademasten einhängt – den Stromabnehmer, auch Pantograf genannt. Der Akku füllt sich. Noch viereinhalb Minuten. Dann muss Karmann-Ave weiter, um in der nächsten Runde pünktlich zu sein.
Sie fährt heute auf der Rundlinie 100/200 in Hannovers Innenstadt. Das Verkehrsunternehmen Üstra hat auf dieser Linie in den vergangenen zwei Jahren drei Elektrobusse getestet. Mittlerweile ist das Pilotprojekt abgeschlossen – und aus Unternehmenssicht ein Erfolg. Die Üstra will in den kommenden fünf Jahren alle Buslinien in der Innenstadt auf Elektro umrüsten. 48 neue E-Busse will der Verkehrsbetrieb dafür kaufen und weitere Ladestationen auf den Strecken errichten.
Die Luft ist dick
60 Millionen Euro soll das kosten. Weil Elektromobilität jedoch vom Bund und dem Land Niedersachsen gefördert werde, blieben noch rund 30 Millionen Euro für die Üstra übrig, heißt es vom Unternehmen. Da ohnehin neue Busse in der Zeit bis 2023 gekauft werden müssten, beliefen sich die Mehrkosten nur auf etwa 200.000 Euro. Ein E-Bus-Schnäppchen.
In Hannover ist die Luft schon seit Jahren ziemlich schlecht. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid werden in mehreren Hauptverkehrsstraßen überschritten. Der Giftstoff kommt vor allem über die Abgase von Dieselmotoren in die Atemluft. Er kann die Atemwege reizen, chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen und steht im Verdacht, krebserregend zu sein.
Die Busse in der Stadt elektrisch fahren zu lassen, ist zumindest eine Möglichkeit, um die Stickstoffdioxidbelastung zu senken – auch wenn die Üstra dies zunächst nur für den Innenstadtbereich plant. Für den Neukauf der Busse außerhalb des Stadtzentrums hat das Unternehmen, das der Stadt und der Region Hannover gehört, noch keinen Zeitplan.
Im Cockpit von Karmann-Aves Elektrobus sind drei Touchscreens verbaut. Sie kann auf dem Display verfolgen, wie weit die Akkus im Heck und auf dem Dach geladen sind. 50 Prozent sind das Minimum, damit sie losfahren darf. Die 16 Kilometer der Linie 200 könnte sie auch locker mit weniger Strom schaffen. Im Sommer sowieso, denn dann zieht keine Heizung die Energie ab – die Klimaanlage verbraucht weniger Strom.
Die 50 Prozent sind eine Vorsichtsmaßnahme, schließlich soll der Bus auch dann nicht liegen bleiben, wenn die Strecke mal verstopft ist. Der Akku wird nach jeder Runde schnell nachgeladen und kommt nachts im Betriebshof an die Steckdose.
Wie bei Raumschiff Enterprise
Jetzt steht die Ladeanzeige auf 78 Prozent. Elke Karmann-Ave klappt den Pantografen wieder ein. Ihre pink lackierten Fingernägel klackern auf dem Display. Darunter ist noch eine zusätzliche Reihe Knöpfe angebracht, für die Kollegen, die sich nicht so schnell auf die neue Technik einstellen können. „Ist so aber viel einfacher als früher“, sagt Karmann-Ave.
Sie fährt schon seit 17 Jahren Busse und hat alle Modernisierungsschritte mitgemacht: erst Diesel, dann Hybridmotoren und nun die Elektrofahrzeuge. Die 43-Jährige mag das neue Fahrgefühl: „Der beschleunigt toll“, sagt sie. Die konventionellen Busse reagierten viel langsamer. „Wenn sie endlich beschleunigt haben, muss man schon wieder anhalten“, sagt Karmann-Ave. Die Busfahrerin drückt jetzt aufs Gaspedal. Zu hören ist davon fast nichts. Nur ein leises Surren.
Mit an Bord ist auch Roland Weiß. Er ist bei der Üstra der Ansprechpartner für die Fahrer. „Ich finde, das hört sich an wie bei Enterprise“, sagt er. Die Üstra habe sogar vorn extra noch einen kleinen Lautsprecher einbauen lassen, der bei Geschwindigkeiten bis 15 km/h ein Kratzen ausspuckt, das sich anhöre, als schleife der Bus einen Ast mit. Der Sinn: Auch Passanten, die in ihr Handy vertieft oder in ihrer Sicht beeinträchtigt sind, sollen die leisen Elektrobusse hören können. „Sonst kommen wir quasi aus dem Nichts“, sagt Weiß.
Für die Üstra-Kollegen hat sich das Fahren verändert. Weiß vergleicht das mit einer kleinen Wassermühle. Kippe man dort einen Eimer Wasser oben drauf, können die Schaufeln nicht das ganze Wasser aufnehmen. Es läuft daneben. Gibt man langsam Wasser nach, dreht sich das Rad stetig. Ähnlich funktioniere auch ein Elektromotor. „Wer den noch fährt wie einen Diesel, der macht etwas falsch“, sagt Weiß. Die Busfahrer wurden geschult, damit sie das hinbekommen.
Auf einem Monitor im Inneren können die Fahrgäste sehen, ob der Motor gerade Strom zieht oder das Fahrzeug, wenn es ausrollt, selbst wieder Strom in den Akku zurückspeist. Dafür wechseln grüne Pfeile auf dem Display von der Batterie zu einer technisch gezeichneten Achse. „Der Ladevorgang wird visualisiert“, sagt Weiß. Der Strom für die Busse kommt laut Üstra aus erneuerbaren Energien. Einen Teil speisen auch die ebenfalls elektrisch betriebenen Straßenbahnen ins Netz ein.
Karin Blödern ist Rentnerin und fährt fast jeden Tag mit dem Bus. Sie weiß nicht, was ihr die grüne Pfeile auf dem Display sagen sollen. Die Erklärung fehlt. Mit dem Elektrobus fährt sie aber ganz gern: „Der fährt so leicht und nicht so ruckartig“, sagt sie. Trotzdem ist die 75-Jährige mit der Forderung nach mehr E-Bussen zurückhaltend. „Das darf nicht auf die Fahrpreise umgelegt werden“, sagt Blödern. Höhere Preise für sauberere Luft? „Das hier ist keine Kurgegend.“
Relikt aus der Nazizeit
Kyra Gödecke hingegen, ebenfalls ein Fahrgast, findet die Umstellung richtig. „Das ist besser für die Umwelt“, sagt sie. Dafür, dass es noch fünf Jahre dauern wird, bis in der Innenstadt keine stinkenden Dieselbusse mehr fahren werden, hat sie Verständnis: „Man muss klein anfangen.“ Die Hauptsache sei, dass es gemacht werde.
Elektrobusse gab es in Hannover schon einmal. Die Linie wurde allerdings 1958 eingestampft. Die O-Busse mit Oberleitungen auf der Strecke waren ein Relikt aus der Nazizeit. Die Nationalsozialisten führten die O-Busse ein, um weniger von ausländischen Treibstoffen abhängig zu sein, schreibt die Üstra in ihrem Firmenmagazin. Nach dem Krieg wurde die zerstörte Linie noch einmal aufgebaut, 1958 dann aber stillgelegt. Die Üstra baute stattdessen die Straßenbahnlinien aus.
Daran, dass die Üstra nun wieder auf Elektrobusse setzt, wenn auch auf ein anderes Prinzip, kann Üstra-Mitarbeiter Weiß nur einen Nachteil sehen: „Das wird Arbeitsplätze reduzieren“, sagt er. Der klassische Mechaniker werde für die E-Busse weniger gebraucht. „Es gibt kein Öl, keine Filter und keine Keilriemen“, sagt Weiß. Stattdessen seien dann Experten für Elektronik gefragt.
Als Busfahrerin Karmann-Ave an die nächste Haltestelle heranrollt, steht dort schon ein Pulk Menschen und wartet darauf, dass sie die Türen öffnet. „Am Anfang der Testphase haben die Leute extra auf den E-Bus gewartet“, sagt sie. Die Üstra gab sogar eigene E-Bus-Fahrpläne heraus. Mittlerweile habe sich das ein bisschen eingependelt. „Das ist auch gut so“, sagt Karmann-Ave. Denn der große Ansturm auf die Busse hätte erst recht zu Verspätungen geführt.
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