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ElbphilharmonieJubiläum mit Fischgesängen

Zum fünften Geburtstag der Hamburger Elbphilharmonie widersteht Chefdirigent Alan Gilbert der Versuchung, das Eröffnungskonzert zu toppen.

Alan Gilbert, Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters Foto: dpa

E s ist Versuchung und Falle zugleich: zum Fünfjährigen der Hamburger Elbphilharmonie das damalige Eröffnungskonzert zu toppen. Alan Gilbert, der jetzige Chefdirigent des NDR-­Elb­phil­harmoni­eorchesters, hat dieser Versuchung beim Jubiläumskonzert am 11. Januar widerstanden. Gilbert weiß, dass man mit der „Initiation“, der spannungsgeladenen Einweihung des skandalgebeutelten 800-Millionen-Euro-Baus, nicht konkurrieren kann, die sein Vorgänger Thomas Hengelbrock im Januar 2017 vor voll besetztem Haus dirigiert hat.

Ein bisschen spiegeln, mit Anspielungen arbeiten, das schon. Aber dann: sich abgrenzen, eine grundlegend andere Programmidee setzen, und so kam es am Dienstag dann auch. Nach John Adams’ „Fanfaren“, einem Trompetendialog von den oberen Rängen herab – Hommage an Solo-Oboen-Start mit Benjamin Brittens „Pan“ mit anschließenden Renaissanceklängen vor fünf Jahren – bot Gilbert weder Alte Musik noch Beethoven, sondern ausschließlich 20./21. Jahrhundert.

Thomas Adès’ Klavierkonzert von 2019 etwa „nimmt die Vergangenheit auf und schaut zugleich nach vorn“, sagte Pianist Kirill Gerstein, bevor er begann. Ein gutes Motto für diesen Abend, ruhig und gelassen geführt von einem Dirigenten, der etwas geschafft hat in seinen knapp drei Hamburger Jahren: Das Orchester spielte kooperativer, feiner und wärmer als vordem, Musiker und die einst allzu harte Saalakustik haben sich angenähert. Statt erregter Überhitzung und Hetze herrschte nun ruhige Kon­zen­tra­tion in Gestik und Mimik von Musikern und Dirigent.

Woher ich das so genau weiß? Ich bin – anders als bei der Eröffnung – diesmal nicht physisch dabei gewesen. Coronabedingt war ich seit über einem Jahr nicht dort; die Wiederbegegnung fand per Livestream statt. Und anders als erwartet ist dies kein wehmütiger, sondern ein gelungener, entspannter Konzertabend geworden. Denn auch mit Maske hätte ich nicht im Publikum sitzen mögen: Selbst im Livestream sah man gelegentlich jemanden, der sich im Schutze des Halbdunkels die Maske von der Nase ­zuppelte.

Dass der Livestream dazu teils im Zeit­raffer den Bau der Elphi einblendete, wirkte angesichts der zehnjährigen Bauzeit bizarr

So aber: ist mein Abend der pure Genuss gewesen. Besonders schlau war das Schlussstück gewählt, Esa-Pekka Salonens „Wing on Wing“, eine 2004 komponierte Hommage an Frank Gehrys Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Salonen verbindet in diesem Stück alles mit allem: imitierte Unterwasser-Fischgesänge, auf Band eingespielte Sätze des Architekten, zwei wandernde Sopranistinnen, die wie Odysseus’ Sirenen klingen. Das klingt mal düster, mal frenetisch, die Stimmungen wechseln in Wellen.

Dass der Livestream dazu teils im Zeit­raffer den Bau der „Elphi“ einblendete, wirkte angesichts der zehnjährigen Bauzeit bizarr. Und bei den Bildern vom Innenausbau fielen einem die teuren spezialgefertigten Lampen des Gebäudes wieder ein. Überhaupt: Salonens Musik als bloße Untermalung für den Bau der Elbphilharmonie? So war es sicher nicht gedacht. Aber der Komponist, live im Saal und später auf der Bühne, hat es ja nicht gemerkt.

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