Eiskunstläufer am Existenzminimum: Finanziell im freien Fall
Die deutschen Paarläufer Mari Vartmann und Aaron Van Cleave werden vollkommen überraschend EM-Fünfte – völlig ohne finanzielle Unterstützung.
Mari Vartmann weinte Freudentränen, als die Wertung kam. Gemeinsam mit ihrem Partner Aaron Van Cleave wurde die Wahlberlinerin am Donnerstag Fünfte im Paarlaufwettbewerb bei der Eiskunstlauf-EM. Eine Sensation. Und – in Abwesenheit der Stars Aljona Savchenko/Robin Szolkowy – wahrscheinlich auch die stärkste Platzierung deutscher Teilnehmer in Sheffield. Bessere Ergebnisse bei den noch folgenden Wettbewerben der Männer, Frauen und im Eistanz sind unrealistisch.
Mit diesem Erfolg hatte das Paar, das seit zwei Jahren gemeinsam trainiert und zum ersten Mal zusammen eine internationale Meisterschaft lief, nicht gerechnet. Noch weniger hat die Deutsche Eislauf-Union (DEU) an die grazile, aber ein wenig nervenschwache Mari Vartmann und ihren kanadischen Partner geglaubt. Ende 2010 hatte die DEU ihren Trainer Knut Schubert entlassen. "Ich trainiere Mari und Aaron ehrenamtlich und lebe vom Einkommen meiner Frau", erklärt Schubert der taz. Berlins Landestrainer Reinhard Ketterer sagt: "Ich bewundere, mit wie viel Gelassenheit und Geduld Schubert das Paar ehrenamtlich trainiert und sie psychologisch aufgebaut hat."
Auch seine Sportler haben kaum Geld: "Mari wurde mit ihrem früheren Partner Florian Just gemeinsam durch die Bundeswehr gefördert. Von denen bekommt sie jetzt noch eine geringe Aufwendung als entlassene Soldatin", sagt Ketterer. Den Rest zum Lebensunterhalt der 23-Jährigen müssen ihre Eltern zuschießen. Der ein Jahr ältere Van Cleave wird von seinen Eltern unterstützt. "Er lebt am Existenzminimum und fährt mit dem Fahrrad durch Berlin, weil die S-Bahn zu teuer ist."
Anders als sein Chemnitzer Trainerkollege Ingo Steuer hat Schubert kein Stasiproblem; das hat auch der Deutsche Olympische Sportbund festgestellt. Dass Schubert für das Training des neuen Spitzenpaares nicht bezahlt wird, beruht auf einer sportpolitischen Fehleinschätzung der DEU, die weder Schubert noch seinen Schützlingen Erfolg zutraute. Ein Sprecher des klammen Sportverbandes, der sich seine Büros in Deutschlands teuerstem Immobilienstandort München leistet, war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“